Rechtsfolge 17 Politische Partizipation trotz Ungleichheit und Exklusion?

Shownotes

Am 21. September 2020 besetzten Klima-Aktivist:innen den Berner Bundesplatz. Sie forderten eine wirksame Klimapolitik. Fast zeitgleich demonstrierten Menschen des #StopIsolation-Kollektivs für menschenwürdige Wohnverhältnisse von geflüchteten Menschen. Obwohl beide Demonstrationen unbewilligt waren, wurde nur eine der beiden Versammlungen durch die Polizei aufgelöst. Dieses Beispiel zeigt die enge Verflechtung von Demonstrationen mit dem Konzept der (Un-)Gleichbehandlung auf und steht, so Manuela Hugentobler, exemplarisch für die Leerstellen in den Rechtswissenschaften im Bereich (qualifizierter) Ungleichheit und demokratischer Partizipation.

Manuela Hugentobler hat Rechtswissenschaften an der Universität Basel studiert und mit einem Master of Law abgeschlossen. In nächster Zeit wird sie ihr Doktorat am Institut für öffentliches Recht der Universität Bern bei Prof. Dr. Markus Müller abschliessen. Ihre Arbeit widmet sie der Demokratie, Diskriminierung und politischer Partizipation im Rahmen des Doktoratsprogramms Gender Studies. Seit 2022 arbeitet Frau Hugentobler am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG) als wissenschaftliche Mitarbeiterin, Dozentin und Projektleiterin. Manuela Hugentobler betreut dabei u.A. das Projekt «Gleichstellungsdatenbank», welches Verfahren bzw. Entscheide gestützt auf das Gleichstellungsgesetz sammelt und aufbereitet. Sie ist Vorstandsmitglied des Schweizerischen Instituts für feministische Rechtswissenschaft und Gender Law sowie der Demokratischen Jurist*innen Schweiz.

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Bern:

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00:00:00: Am 21. September 2020 besetzen Klimaaktivist*innen den Berner Bundesplatz. Sie forderten eine

00:00:19: wirksame Klimapolitik. Fast zeitgleich demonstrierten Menschen des Stop-Isolation-Collectives für

00:00:26: Menschenwürdige Wohnverhältnisse von geflüchteten Menschen. Obwohl beide Demonstrationen unbewilligt

00:00:32: waren, wurde nur eine der beiden Versammlungen durch die Polizei aufgelöst. Dieses Beispiel zeigt

00:00:38: die enge Verflechtung von Demonstrationen mit dem Konzept der Ungleichbehandlung und stehen,

00:00:44: so Manuela Huggentobler, exemplarisch für die Lehrstellen in den Rechtswissenschaften im Bereich

00:00:49: qualifizierter Ungleichheit und demokratischer Partizipation. Manuela Huggentobler hat Rechtswissenschaften

00:00:56: an der Universität Basel studiert und mit einem Master of Law abgeschlossen. Sie ist in den nächsten

00:01:03: Monaten daran, ihr Doktorat am Institut für Öffentliches Recht der Universität Bern unter

00:01:08: der Leitung von Prof. Markus Müller abzuschließen. Ihre Arbeit widmet sie der Demokratie,

00:01:14: Diskriminierung und politische Partizipation im Rahmen des Doktoratsprogramms "Gender Studies".

00:01:21: Seit 2022 arbeitet Frau Huggentobler am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung,

00:01:27: IZFG, als wissenschaftliche Mitarbeiterin, Dozentin und Projektleiterin. Das IZFG setzt sich

00:01:36: inhaltlich, methodisch und theoretisch mit geschlecht und geschlechtet Fragen auseinander.

00:01:41: Ein Jahr lang war Frau Huggentobler als Gastforscherin an der Universität Kasselt tätig.

00:01:46: Manuela Huggentobler betreut am IZFG unter anderem das Projekt Gleichstellungsdatampunk und das

00:01:54: Projekt zu Konversionsmaßnahmen. Manuela Huggentobler ist Vorstandsmitglied der

00:01:59: Schweizerischen Instituts für Feministische Rechtswissenschaft und Gender Law sowie

00:02:04: der demokratischen Jurist in den Schweiz. Liebe Frau Huggentobler, schön sind Sie hier.

00:02:08: Schön, dass ich hier sein darf. Welchen Bereich galt Ihr Interesse zuerst,

00:02:13: der Diskriminierung oder dem Recht? Das ist wirklich schwer zu sagen. Ungleichheit hat mich

00:02:19: schon immer interessiert, aber was Diskriminierung war, habe ich eigentlich erst im US-Studium

00:02:24: gelernt. Ich fand es faszinierend, wie sich gerade auch im US-Studium eben dann Unterschiede,

00:02:29: ökonomischer Herkunft, Geschlecht oder Rassifizierung zeigten und dann auch eben wie das Recht damit

00:02:36: umgeht. Ich habe dann einige Seminare in der Politologie und der Soziologie und den Gender

00:02:41: Studies belegt und relativ schnell gemerkt, dass in vielen Bereichen disziplinäres Wissen vorhanden

00:02:48: ist, dass nicht in den Rechtswissenschaften ankommt und aber auch umgekehrt. Und ich war auch

00:02:53: fasziniert von der klaren und scheinbar so einfachen Konzeption des Diskriminierungsrechts.

00:02:59: Das Recht schien mir da als ideales Instrument für gerechtere Verhältnisse zu sorgen.

00:03:04: Jetzt, was hat sie dazu bewogen, ich nehme an, auf diese Basis auch eine Dissertation zu schreiben?

00:03:12: Also grundsätzlich kann ich mir überhaupt nichts Schöneres vorstellen, als einem selbstgewählten

00:03:19: Kenntnisinteresse nachzugehen. Und was sehr wichtig ist für mich, ich bin eigentlich eher eine Person,

00:03:25: die schnell denkt und dann manchmal auch über Dinge hinweggeht. Und die Wissenschaft hat mir den Wert,

00:03:32: der Langsamkeit gelehrt. Und ich finde es eine große Herausforderung, den Dingen auf den Grund

00:03:37: zu gehen und insbesondere das in den Rechtswissenschaften zu tun, weil ich die Auseinandersetzung mit

00:03:44: rechtlicher Normativität und ihren gesellschaftlichen Voraussetzungen sehr spannend finde. Und insbesondere

00:03:51: der Bereich der demokratischen Partizipation und der Staatsorganisation faszinieren mich.

00:03:56: Und für mich ist die Uni trotz allem immer noch ein wunderbarer Ort und es ist ein großes Privileg,

00:04:03: hier arbeiten zu dürfen. Darf ich kurz nachhaken? Super interessant. Den Wert der Langsamkeit.

00:04:10: Ich dachte für mich immer, es wäre der Wert der Tiefe, in die Tiefe gehen zu können. Für sie ist es

00:04:16: der Wert der Langsamkeit. Können Sie das ausführen? Ich glaube, dass Tiefe häufig Langsamkeit bedingt.

00:04:23: Jedenfalls ist es bei mir so. Und die wissenschaftliche Methode oder die Art,

00:04:29: wie man rechtswissenschaftlich arbeitet, hilft mir dabei, diese Tiefe zu erreichen.

00:04:34: Das gehe ich davon aus, dass vor allem auch diese interdisziplinäre Arbeit,

00:04:40: diese interdisziplinären Verknüpfung auch viel Zeit in Anspruch nehmen. Sie schreiben ja über

00:04:46: diese Tation im Rahmen des Doktoratsprogramms Gender Studies und da befassen sie sich oder

00:04:52: die Gender Studies insgesamt, die befassen sich ja interdisziplinär mit dem Verhältnis von

00:04:56: Geschlecht, Gesellschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft. Welche zusätzlichen Perspektiven

00:05:04: erhalten Sie aus den Gender Studies für das Recht, die dem Rechtsarbst nicht in der Wohnen?

00:05:09: Also das Inter oder manchmal sogar transdisziplinäre Selbstverständnis der Gender Studies ist sehr

00:05:16: wichtig für mich und ich denke auch eine ideale Ergänzung zur Methode oder auch

00:05:22: eben Methodenvergessenheit der Rechtswissenschaften. Dass man sich darum bewusst ist, dass man aus

00:05:29: einer einzelnen disziplinären Perspektive eben die Wirklichkeit nicht vollkommen erfassen kann,

00:05:33: sondern angewiesen ist auf andere Methoden und Wissensbestände. Diese Erkenntnis,

00:05:39: die hilft mir bei meiner Forschung sehr und für die Gender Studies ist diese Erkenntnis

00:05:45: ja auch der Ursprung der eigenen Existenz und eigentlich auch Bedingung. Und mir ist sehr

00:05:54: wichtig in einer Forschungsumgebung verankert zu sein, die Methoden ernst nimmt und auch

00:06:01: disziplinäres Wissen ernst nimmt und gleichzeitig sich aber nicht schon darüber hinauszugehen,

00:06:06: verschiedene Theoretraditionen übernimmt, dann aber auch aufbricht und Perspektiven kombiniert.

00:06:13: Ich finde das sehr inspirierend, aber eben auch, wie Sie schon gesagt haben, sehr herausfordernd.

00:06:18: Weil jede Disziplin eröffnet wieder den Blick auf die Lehrstellen der eigenen Disziplin.

00:06:24: In meinem letzten Projekt durfte ich beispielsweise mit einem Forscher der Sozialwissenschaften

00:06:30: zusammenarbeiten, der qualitative Interviews geführt hat und diese Art von Wissen, das dabei

00:06:36: generiert wurde, war für den juristischen Teil dieser Forschung sehr wichtig und in meiner

00:06:42: Dissertation, die trotz allem eine recht dogmatische Arbeit ist, komme ich zu diesem Wissen nicht.

00:06:48: Und diese Erkenntnis ist aber auch für eine rein recht dogmatische Forschung sehr wichtig.

00:06:55: Im Einleitungskapitel Ihrer Dissertation schreiben Sie,

00:06:59: "Rechtsdokmatik ist nie per se unpolitisch, sondern verhaftet in eben diesem Grundkonsens und

00:07:06: gesellschaftlichen Verhältnissen, die an spezifischen Orten zu bestimmten Zeiten vorhärschen.

00:07:11: Das weicht grundsätzlich von dem ab, was uns im Studium regelmäßig vermittelt wird.

00:07:16: Recht sei generell abstrakt und im Kern objektiv, respektive neutral.

00:07:21: Warum ist dem nicht so?

00:07:23: Und was lässt sich für unser Rechtsverständnis gewinnen, wenn wir davon ausgehen, dass Recht

00:07:28: nie unpolitisch und damit nicht objektiv sein kann?"

00:07:30: Ich glaube schon, dass sich die Rechtswissenschaften und auch die Rechtsprechung sich bewusst ist

00:07:39: über die Abhängigkeit des Rechts von gesellschaftlichen Verhältnissen.

00:07:43: Weil das sich ja im Gesetzgebungsverfahren, diese gesellschaftlichen Diskurse, in Recht

00:07:49: umwandeln, das ist einigermaßen banal, wird auch in den ersten Semester des Studiums gelehrt.

00:07:55: Und mir wurde zum Beispiel in meiner allerersten Übung im Obligationenrecht der Tipp gegeben,

00:08:00: immer zuerst zu überlegen, welches Ergebnis ich denn für richtig halten würde und dann

00:08:05: die Argumentation in diese Richtung aufzubauen.

00:08:08: Richtig ist aber natürlich, dass das und die Einbettung des Recht in gesellschaftliche

00:08:12: Verhältnisse im Studium nicht oder selten explizit thematisiert wird.

00:08:19: Und ich hatte ja vorher schon Methodenvergessenheit gesagt und ich glaube, das ist der Punkt,

00:08:25: um den es hier eigentlich geht.

00:08:27: Noch eine Anekdote am Anfang, als ich meine Dies angefangen habe, hat mir ein Kollege,

00:08:34: der schon am Ende seiner Diesfahr geraten, den Satz in die Dies zu schreiben, eher eine

00:08:39: Fußnote zu schreiben, diese Arbeit wurde nach der recht dogmatischen Methode verfasst

00:08:43: und auf einen Methodenkapitel zu verzichten.

00:08:46: Und ich glaube, das ist der springende Punkt, weil ich denke, dass die Methodenvergessenheit

00:08:51: dazu führt, dass implizite Annahmen in Entscheidungen mit einfließen.

00:08:55: Die vier Aspekte der Auslegung und der sogenannten Methodenpluralismus des Bundesgerichts verdeutlichen

00:09:01: das ja.

00:09:02: Wenn die Begrifflichkeit dieses Methodenpluralismus ist ganz offen und überlässt es dann den

00:09:08: Jurist*innen, die impliziten Regeln der Rechtsherstellung zu machen.

00:09:12: Und ich glaube dennoch, dass es im Moment sehr viele Jurist*innen und Forscher*innen

00:09:19: gibt, die das schon kritisieren, darüber hinweggehen und neue Wege versuchen, wie recht hergestellt

00:09:26: werden kann und wie überrecht geschrieben werden kann.

00:09:28: Das ist aber, glaube ich, noch nicht umfassend angekommen und vor allem auch noch nicht überall

00:09:34: im Studium so wahrnehmbar.

00:09:36: Wie machen Sie das in Ihrer Dissertation?

00:09:39: Und erkennen Sie Positionalität, übergeordnete Werte oder wie gehen Sie mit dieser Methodenproblematik

00:09:47: um?

00:09:48: Das ist eine Frage, die wirklich alle zu den schwierigsten zählt in meiner Dies.

00:09:53: Ich schreibe ein Methodenkapitel, das eigentlich gar kein Methodenkapitel ist, sondern sich

00:09:58: mit der juristischen Methode an sich auseinandersetzt und hier versucht offen zu legen, wo eben diese

00:10:05: impliziten Annahmen liegen und wie die Rechtsdokumatik eben nicht alles so erfassen kann, wie sie

00:10:18: es vorgibt, es zu tun.

00:10:22: Diese Kritik führt aber dann am Ende dazu, dass ich argumentiere, warum ich es trotzdem

00:10:28: so mache wie bisher und ich versuche dann einfach, Kenntnisse aus anderen Disziplinen

00:10:35: und anderen Methoden mit einzubeziehen, auch punktuell und auch immer wieder innerhalb

00:10:42: der Arbeit dann darauf zu verweisen, was ich hier eben nicht erforschen kann mit der rechtsdokumatischen

00:10:50: Methode.

00:10:51: Also es geht im Kern um Transparenz.

00:10:55: Ja, das ist mein erster Schritt sozusagen in Richtung einer reflektierteren Methodenanwendung

00:11:02: in der Rechtsdokumatik.

00:11:04: Ich denke aber längerfristig oder für weitere Forschung müsste das noch ein bisschen weitergehen.

00:11:10: Ich glaube zum Beispiel, dass der Umgang von Gerichten und nicht nur Rechtswissenschaftler

00:11:15: innen mit sogenannt empirischen Grundlagen etwas ist, woran man dringend arbeiten müsste.

00:11:22: Ich habe einen Kommentar geschrieben zusammen mit Barbara von Rüte zu einem Entscheid, wo

00:11:28: eine alleinerziehende Mutter nicht eingebürgert wurde, weil sie Sozialhilfe empfangen hat.

00:11:34: Und in diesem Entscheid hat das Berner Verwaltungsgericht sich einigermaßen ausführlich mit Statistiken

00:11:40: auseinandergesetzt mit der Frage, ob sich die Nicht-Einbürgerung dieser Frau, ob

00:11:45: das eine Diskriminierung war.

00:11:47: Und es kam zum Schluss, dass es sich dabei nicht um eine Diskriminierung gehandelt hat.

00:11:52: Das ist natürlich zunächst unproblematisch, aber der Punkt, den ich hier machen will,

00:11:58: ist, dass das Verwaltungsgericht sich eben mit ganz bestimmten Statistiken auseinandergesetzt

00:12:03: hat.

00:12:04: Es hat zum Beispiel verglichen, ob ein Unterschied bei der Sozialhilfequote von ausländischen

00:12:09: Frauen und Männern bestehe und kam dann zum Schluss, dass das nicht der Fall ist und

00:12:14: deswegen eben keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts-Vorlag.

00:12:17: Und nun ist meine Kritik an dieser Methode sozusagen, dass die Entscheidung dafür, dass

00:12:24: ausländische Frauen mit ausländischen Männern verglichen wurde, ja bereits schon eine Wertung

00:12:29: ist des Sachverhalts.

00:12:30: Natürlich gibt es Gründe, diesen Vergleich zu übernehmen, aber es gäbe auch Gründe

00:12:35: Schweizer Bürgerinnen in diesem Vergleich mit einzubeziehen.

00:12:38: Was die auch gemacht haben, ist argumentiert, dass hier eine Diskriminierung wegen dem Status

00:12:48: als alleinerziehende Person vorlegen könnte, dass dieser aber dann gerechtfertigt sei,

00:12:54: weil eben ein höheres Interesse des Kantons der Gemeinde der Staatlichkeit daran bestehe,

00:13:01: hohe Anforderungen an die Einbürgerung zu stellen und zu entscheiden, wer eingebürgert

00:13:06: wird und wer nicht.

00:13:07: Und diese Interessensabwägung oder diese Abwägung hier wurde insofern begründet, dass eben

00:13:14: diese Staatsbürger*innen schafft, dass das ein wichtiger Aspekt des Staates ist.

00:13:19: Aber warum genau, dass jetzt im Einzelfall wichtiger ist als die Ungleichbehandlung oder

00:13:24: ich würde auch argumentieren, Diskriminierung dieser einen Person, das wurde nicht ausführlich

00:13:30: diskutiert.

00:13:31: Und ich würde sagen, für Nicht-Jurist*innen ist dieser Entscheid erst einmal empörend.

00:13:36: Weil der Fall war ja so, dass diese alleinerziehende Frau ein behindertes Kind hatte und deswegen

00:13:42: nicht arbeiten gehen konnte und deswegen also auch keine Chance hatte, sich auf dieser

00:13:45: Sozialhilfe zu lösen und aus diesem Grund auch keine Chance darauf hatte, ihn jemals

00:13:51: eingebürgert zu werden.

00:13:52: Nun, wenn mal Jurist*in ist, kann man sich vorstellen, warum das Gericht so entschieden

00:13:58: hat, aber man muss darum wissen, was Staatsbürgerschaft für die Nationalstaatlichkeit für eine Bedeutung

00:14:04: hat, inwiefern geschlecht, in einem juristischen Kontext verstanden wird, was die wirtschaftliche

00:14:11: Leistungsfähigkeit in Bezug auf Einbürger*innen für eine Bedeutung hat und so weiter.

00:14:16: Und dann auch nicht zuletzt, das war jetzt hier nur noch am Rande die Frage, was eine

00:14:20: Behinderung ist und welche Vorstellungen von Behinderungen es zum Beispiel in der

00:14:25: UNO-Behindertenrechtskonvention geht, welche in der Schweiz und so weiter.

00:14:28: Und diese ganzen impliziten Annahmen, die wurden im Entscheid nicht thematisiert, die muss

00:14:33: man sich selbst erklären.

00:14:35: Und ich denke, hier ist es auch nicht zuletzt, um verstanden zu werden von nicht Jurist*innen

00:14:41: relevant, dass man hier ausführlicher wird darin, wie solche Entscheidende entstehen.

00:14:48: Sie fordern also eigentlich, dass auch die Justiz in ihrem Methodenverständnis transparenter

00:14:53: wird.

00:14:54: Ja, ich denke, es ist sehr wichtig, dass man die eigene Methode offenlegt, um auch den

00:14:59: Anspruch an Rechtsstaatlichkeit völlig erfüllen zu können.

00:15:02: Und zusätzlich noch, Sie haben mir eine Stelle zitiert aus der Einleitung meiner Dies und

00:15:08: gleich danach folgt ja ein Verweis auf Sonja Buckel und ihre materialistische Rechtstheorie

00:15:16: und ein Verweis darauf, dass sie eben von einer relationalen Autonomie des Rechts spricht.

00:15:20: Und das überzeugt mich, weil das Recht ist eben, wie wir gesagt haben, nicht unabhängig

00:15:24: von gesellschaftlichen Verhältnissen, aber es ist auch nicht Politik.

00:15:29: Es ist nicht ein Teil der politischen Aushandlungsverhältnisse, sondern es ist in dem Sinne autonom,

00:15:36: dass sich diese gesellschaftlichen Verhältnisse eben nur in spezifischen Verfahren ins Recht

00:15:42: übersetzen lassen und dass sie eben auch das Recht nur beeinflussen können, indem

00:15:48: juristische Fachexperte*innen in den meisten Fällen zu Hilfe genommen werden müssen,

00:15:54: um diese Übersetzung überhaupt leisten zu können.

00:15:56: Also das bedeutet im Recht muss man sich anders artikulieren als in der politischen Diskussion.

00:16:03: Vielleicht kann ich noch sagen, was das für Rechtsgleichheit, was ja so ein Thema meiner

00:16:09: Dies ist, dann konkret bedeuten würde.

00:16:11: Ja, sehr gerne.

00:16:12: Wir haben ja eine große Errungenschaft durch das Recht, nämlich diese Rechtsgleichheit,

00:16:17: sodass sich Rechtssubjekte als Gleiche begegnen können im Recht und eben nicht mehr untergeordnet

00:16:23: sind, je nach Stand oder Geschlecht und so weiter.

00:16:26: Also diese normale Rechtsgleichheit ist eine große Errungenschaft.

00:16:29: Was aber gleichzeitig da passiert, wenn wir Rechtssubjekte haben, die sich als Gleiche

00:16:34: begegnen, dass eben tatsächliche Ungleichheiten strukturell verdeckt bleiben.

00:16:39: Sie können auch kaum thematisiert werden.

00:16:42: Sie können nur mit Hilfsinstrumenten wieder ins Recht reingeholt werden, also eben mit

00:16:46: Diskriminierungsverboten zum Beispiel oder auch mit so Instrumenten wie dem Übervorteilungsverbot

00:16:52: oder anderen Dingen, die dann explizit im Recht aufgenommen werden müssen.

00:16:57: Einleuchtend finde ich das, wenn man über strategische Prozessführungen spricht.

00:17:01: Wir hatten ja dieses Beispiel des Geschlechzeintrags, wo es einen Entscheid gab im Kanton Arga und

00:17:07: dann im Bundesgericht, wo es darum ging, dass eine Person die Streichung ihres Geschlechzeintrags

00:17:13: im Ausland auch in der Schweiz streichen wollte.

00:17:15: Und das Bundesgericht hat das dann abgelehnt und auch kommentiert, dass eben das Schweizer

00:17:21: Rechtssystem auf einem binären Geschlechtermodell basiere und eine Abkehrung ein entscheidendes

00:17:25: Gesetz geben.

00:17:26: Was bedürfe also die Diskussion quasi in die politische verwiesen.

00:17:30: Aber in diesem Entscheid spielte nicht nur das Argument, das eben auch in der gesellschaftlichen

00:17:37: Auseinandersetzung eine Rolle spielt, nämlich dass man einen menschenrechtlichen Anspruch

00:17:41: darauf hat, die eigene Geschlechtsidentität auch in staatlichen Regissen abgebildet zu

00:17:46: haben, eine Rolle, sondern es ging auch entscheidend darum, in welchen Fällen ausländischen

00:17:53: Entscheidenden die Folge für weigert werden darf in der Schweizer Rechtsordnung.

00:17:57: Und das darf sie dann, wenn sie in einem fundamentalen Widerspruch zu elementaren Grundsätzen

00:18:03: unter der Rechtsordnung stehen.

00:18:05: Und das Gericht hat dann eben entschieden, dass das ja der Fall ist.

00:18:08: Aber diese Argumentation eben nur darauf will ich hinaus, also diese Argumentation eben

00:18:13: kommt nicht vor in einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung, sondern ist eben eine Auseinandersetzung

00:18:19: des Rechts und in dem Sinne hat Recht eben eine relationale Autonomie.

00:18:24: Es bezieht sich auf gesellschaftliche Verhältnisse, aber funktioniert nicht so wie gesellschaftliche

00:18:30: Diskurse.

00:18:31: Wenn wir schon auf den Diskurs in der Politik zu sprechen kommen, würde ich Sie gerne auch

00:18:40: noch zur Diskurstheorie des Rechts etwas fragen.

00:18:43: Diese Theorie nutzt den Diskurs als Begründung der moralischen und demokratischen Legitimierung

00:18:49: des Rechts.

00:18:50: Recht umfasst nach der Diskurstheorie, also all jenen Normen, die durch ein bestimmtes

00:18:55: Verfahren, namentlich dem rationalen Diskurs, entstanden sind.

00:19:00: Legitimiert sich das Recht also über den Prozess, in dem es entsteht?

00:19:04: Das ist genau die Vorstellung, die mich als Studentin im ersten Semester des Rechtsstudiums

00:19:12: begeistert hat.

00:19:13: Ich dachte, das ist klar, gerecht und eindeutig.

00:19:16: Wir haben ein Volk, es entscheidet als Verfassungsgeber über die Grundsätze des Parlamentes und

00:19:21: die Regierung regnet an die Einzelheiten und werden durch Referenten und eine eingeschränkte

00:19:27: Verfassungsgerichtsbarkeit noch überprüft.

00:19:30: Und dann haben wir ja aber jetzt schon darüber gesprochen, dass diese rechtlichen Prozesse

00:19:36: überhaupt nicht so sehr außerhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse existieren, wie das in diesem

00:19:43: Konzept angedacht wäre.

00:19:45: Es gibt lebtem Abstimmungen und Wahlen und so weiter auch noch informelle Partizipationsformen,

00:19:51: wie zum Beispiel Protestaktionen, soziale Bewegungen, Propektionen, Demonstrationen, einfach Medienarbeit

00:20:00: oder ziviler Ungehorsam und so weiter.

00:20:02: Diese Varianten stehen nicht außerhalb der Rechtsordnung, sondern müssen sich innerhalb

00:20:07: der Rechtsordnung bewegen, sich zu ihr verhalten, sie beeinflussen Rechtsetzung, Rechtsprechung

00:20:14: und so weiter.

00:20:15: Und ich denke, und das hat Iris Marion Young sehr schön beschrieben, dass eben die Übergänge

00:20:21: zwischen individuellen Problemen, politischer Organisation und dann institutioneller Beteiligung

00:20:27: fließend sind.

00:20:28: Also die unterschiedlichen Formen, wie man partizipieren kann, die überschneiden sich

00:20:33: und ergänzen sich manchmal zufällig und manchmal eben auch als Teil einer politischen

00:20:39: Strategie.

00:20:40: Sie verlaufen auch nicht eindimensional oder unidirektional und es ist auch nicht immer

00:20:46: so, dass formulierte Probleme sich dann in einer Regierungshandlung oder in der Gesetzgebung

00:20:51: wiederfinden.

00:20:52: Und auch andere Faktoren haben natürlich eine Relevanz für diese Prozesse, was ist die

00:21:01: aktuelle Wirtschaftslage, was ist die geopolitische Lage und so weiter.

00:21:05: Und eben diesen Faktoren spielen auch die gesellschaftlich zugeschriebene oder individuell

00:21:11: auch Affirmierte oder nur eine vermutete Positionierung von Personen und von denjenigen Personen,

00:21:18: die Probleme formulieren, hier eine Rolle.

00:21:20: Und mit all dem im Hinterkopf kann man natürlich schon sagen, ja, das Recht legitimiert sich

00:21:27: im Prozess nur und darum geht es eigentlich auch in meiner Arbeit genügt das nicht.

00:21:33: Wie ist denn damit umzugehen, dass nicht alle Menschen am demokratischen Prozess der Rechtsentstehung

00:21:39: mitwirken können?

00:21:40: Also das Ziel meiner Dies ist, das erst einmal aufzuzeigen, wo überall Beteiligungsmöglichkeiten

00:21:47: fehlen und teilweise auch zu argumentieren, warum das so sein könnte.

00:21:52: Aber aus dem internationalen Menschenrechtsschutz ergeben sich natürlich einige Schutz- und

00:21:58: Gewährleistungspflichten für die Schweiz, beispielsweise im Bereich des Geschlechts oder der Rassifizierung.

00:22:03: Andere Aspekte sind aber rechtswissenschaftlich weniger eindeutig, beispielsweise die Ermöglichung

00:22:10: der tatsächlichen Beteiligung durch die rechtliche Organisation von Arbeitsbedienungen.

00:22:16: Also hier geht es darum, dass man einerseits davon ausgehen kann, dass demokratische Arbeitsverhältnisse

00:22:24: einen Einfluss haben auf die Art, wie Staatsbürger*innen sich verhalten im demokratischen Kontext.

00:22:30: Dazu hat Axel Honett ein spannendes Buch geschrieben.

00:22:34: Das kann ich nur empfehlen.

00:22:36: Und andererseits aber auch darum, ob überhaupt Kapazitäten vorhanden sind, um am politischen

00:22:42: Prozess teilnehmen zu können.

00:22:44: Und das ist bislang menschenrechtlich nicht abschließend geklärt, zum Beispiel.

00:22:49: Deswegen gibt es hier auch unterschiedliche Niveaus an rechtswissenschaftlicher Aufarbeitung

00:22:54: dieser Ausschlüsse.

00:22:55: Wer ist nun in der Schweiz Teil des politischen Partizipationsprozesses und wer wird explizit

00:23:04: oder implizit davon ausgeschlossen?

00:23:07: Also vielleicht um auf das eingangs genannte Beispiel der sozialhilfebeziehenden Frau zurückzukommen,

00:23:13: die ein Kind hat mit einer Beeinträchtigung.

00:23:15: Wie wird sie davon ausgeschlossen explizit oder implizit?

00:23:20: Und auch warum sollte das auch ein Problem der Demokratie und/oder Diskriminierung sein?

00:23:26: Also wenn ich das in zwei Sätzen beantworten könnte, müsste ich meine Diss überhaupt nicht schreiben.

00:23:32: Aber ich versuche es jetzt.

00:23:34: Also gleich zum Beispiel.

00:23:35: Die Frau, die hier diese Beschwerde geführt hat, ich habe es vorher schon gesagt, hat

00:23:42: keine Möglichkeit unter den gegebenen Umständen sich einbürgern zu lassen, also Staatsbürgerinnen

00:23:48: zu werden in der Schweiz und die folgen Partizipationsrechte zu haben.

00:23:52: Und das ist natürlich insofern ein Problem, dass es sich dabei, davon bin ich eigentlich

00:24:02: überzeugt, um eine Diskriminierung handelt aufgrund ihrer ökonomischen Verhältnisse,

00:24:08: der Behinderung ihres Kindes, ihrem Status als Alleinerziehende und vermittelt dann

00:24:14: eben auch aufgrund des Geschlechts, weil die meisten Alleinerziehenden Frauen sind.

00:24:19: Das ist ganz kurz gesagt.

00:24:21: Und hier haben wir verschiedene Probleme einerseits eben die Schwierigkeit, verschiedene Diskriminierungsdimensionen

00:24:29: in einem Fall recht wissenschaftlich anzuerkennen und zu verstehen, inwiefern sich diese einzelnen

00:24:35: Aspekte eben nicht nur addieren, sondern eben auch gegenseitig vergrößern und dass es

00:24:41: überhaupt erst zu einer Diskriminierung kommt.

00:24:44: Und an diesem Beispiel sieht man sehr gut, dass es eben auch gratuelle Ausschlüsse sein

00:24:48: können.

00:24:49: Diese Frau kann weiterhin demonstrieren gehen, vermutlich in der Schweiz, sie kann aber eben

00:24:54: nicht abstimmen und wählen gehen.

00:24:56: Und wenn man davon ausgeht und davon gehen wir ja eigentlich mangels weiter Grundsätze

00:25:04: aus, dass eben der Prozess die Demokratie legitimiert, dann müssen wir, denke ich,

00:25:11: davon ausgehen, dass ein größtmöglicher Einschluss aller Rechtsunterworfnen nach wie vor das

00:25:17: Ziel sein muss.

00:25:18: Und wenn Leute ausgeschlossen werden aus dieser Partizipationenmöglichkeit, ohne dass dafür

00:25:24: sachliche Gründe bestehen, dann ist das für die Demokratie insofern ein Problem, als sie

00:25:30: sich ja dann nicht mehr an ihrem eigenen Ideal messen lässt, dass eben vorsieht, dass die

00:25:36: Bürger*innen das eigene Recht gestalten.

00:25:39: Darüber habe ich ja vorher schon gesprochen.

00:25:41: Die Frage ist dann eben in den Einzelheiten.

00:25:43: Was ist ein legitimer Grund, jemanden auszuschließen?

00:25:47: Und das Bundesgericht hat hier ja dann unter anderem auch gesagt, das sagt das regelmäßig,

00:25:51: das Sozialhilfeabhängigkeit, kein erkanntes Diskriminierungsmerkmal ist.

00:25:57: Worüber man auch, sie streiten kann, jedenfalls ist es in der vorliegenden Situation klar,

00:26:03: dass sie aufgrund ihrer ökonomischen Verhältnisse nicht eingebürgert werden kann, aufgrund der

00:26:08: Regelung, dass eben Leute, die Sozialhilfe beziehen, im Kanton werden nicht eingebürgert

00:26:12: werden können.

00:26:13: Und ich finde deswegen machen eben die Diskriminierungskategorien, was ich eine passende Reubezeichnung

00:26:20: finde als Merkmale, Sinn als Analysemittel, um zu erfahren, was im demokratischen Recht

00:26:30: vielleicht die Funktionalität der Demokratie mindert.

00:26:34: Vielleicht erinnern Sie sich an die Diskussionen über Mutterschaft im Parlament, wo es darum

00:26:40: geht, dass Parlamentarier*innen den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung verlieren,

00:26:45: wenn sie im Parlament Einsitz nehmen, während des Mutterschaftsurlaubs.

00:26:49: Und an diesem Beispiel wird einerseits deutlich, dass eben Mutterschaft im Parlament überhaupt

00:26:55: nicht vorgesehen war.

00:26:57: Aber auch, dass die Inklusion von bisher ausgeschlossenen, hier eben von Frauen, durch

00:27:03: das Frauenstimmrecht, ein Prozess ist, der nicht mit einzelnen Scheiden abgeschlossen

00:27:08: wird.

00:27:09: Und ein weiteres Beispiel dafür sind dann eben Kundgebungen und Demonstrationen.

00:27:16: Ausländer*innen sind ja von der institutionalisierten Partizipation weitgehend ausgeschlossen.

00:27:22: Sie können aber durchaus Demonstrationen organisieren, an politischen Kundgebungen

00:27:26: teilnehmen und so weiter.

00:27:28: Nun ist an solchen Veranstaltungen häufig die Polizei anwesend.

00:27:32: Und wenn man davon ausgeht und darauf deutet einiges hin, dass Dinge wie Racial Profiling

00:27:38: existieren, dann sind bestimmte Ausländer*innen, nämlich Hip-of-Color, besonders gefährdet

00:27:46: hier in eine Polizeikontrolle zu geraten.

00:27:48: Und je nachdem kann das dann auch eine doppelte Gefährdung bedeuten, wenn man zum Beispiel

00:27:53: auch einen ungesicherten Aufenthaltsstatus hat, eine Sonnpapier ist und so weiter.

00:27:57: Das bedeutet, es gibt also diese verschiedenen Ebenen der Partizipation und diese verschiedenen

00:28:02: Ausschlüsse, wo es eben im Detail darauf ankommt, inwiefern man überhaupt die Möglichkeit

00:28:08: hat Grundrechte, wie die Versammlungsfreiheit überhaupt auszuüben.

00:28:12: Also wenn ich jetzt wieder die Vogelperspektive einnehme, diese Verknüpfung des Diskriminierungsbegriffs

00:28:21: mit der politischen Partizipation, Sie sagen in essence, dass die Verkürzung, dass die

00:28:30: Diskriminierung an sich zu einer Verkürzung der Demokratie durch politische Partizipation

00:28:37: mit sich bringt.

00:28:38: Ja, kann man das so sagen.

00:28:41: Ich denke ja, ich möchte einfach zeigen in meiner Diess, dass eben diese scheinbar klaren

00:28:45: Regelungen, welche Möglichkeiten der Partizipation hat, dass das nicht so eindeutig ist und deswegen

00:28:51: aufzeigen, wo hier Grenzen sind.

00:28:54: Weil wenn wir jetzt von den Diskriminierungsverboten als solche ausgehen, kommen die auch in diesem

00:29:00: Feld ja nur punktuell zur Anwendung, weil sie ja auf den individuellen Rechtsschutz

00:29:05: zählen.

00:29:06: Und das auch aus gutem Grund.

00:29:07: Nur ist es ja so, dass eben diese Grundrechte noch andere Schutzrichtungen haben und zum

00:29:13: Beispiel eben auch die staatliche Pflicht beinhalten, dass alle dem Recht unterworfen

00:29:20: und nicht nur die Staatsbürger*innen möglichst in den Genuss dieser Grundrechte kommen sollten.

00:29:25: Und dann gibt es noch die andere Perspektive, eben die sozialwissenschaftliche, politologische,

00:29:30: empirische Forschung dazu, wer konkret ausgeschlossen wird.

00:29:34: Und warum und wie das hergestellt wird.

00:29:39: Darf ich eine kätzliche Frage stellen?

00:29:42: Ja bitte.

00:29:43: Könnte man dagegen argumentieren, ja das ist vielleicht eine etwas idealistische Vorstellung

00:29:51: von Demokratie und dass es gar nie die Idee war, dass Demokratie dermaßen umfassend verstanden

00:29:58: wird, sondern die enge Definition und Konzeption von Diskriminierung auch dazu dient, Demokratie

00:30:08: eng zu verstehen und damit gewisse Privilegien aufrecht zu erhalten?

00:30:13: Die Frage, ob das eine explizite Strategie ist, die kann ich nicht beantworten.

00:30:18: Aber was sich natürlich sagen lässt ist, dass der Schweizer Staat von 1848 ein ganz

00:30:25: bestimmtes Subjekt als Staatsbürger sich vorgestellt hat und dann auch in der Praxis

00:30:31: existiert hat.

00:30:32: Also wir haben damals etwa ein Viertel der Bevölkerung, ist überhaupt nur stimmberechtigt.

00:30:37: Die politischen Rechte richten sich eigentlich an einigermaßen gut gestellte Bürger, die

00:30:44: auch Zeit haben für ihr politisches Engagement ausgeschlossen sind.

00:30:48: Frauen, Juden, sogenannt armen Genössige, also heute sozialhilfebeziehende.

00:30:52: Und man kann natürlich sagen, dass sich das immer weiter aufgebrochen hat.

00:30:57: Zuerst wurden Juden das Stimmrecht gegeben, dann Frauen, dann auch den Armen genössigen.

00:31:03: Gleichzeitig, und das ist auch ein Teil meiner Arbeit, bestehen eben Kontinuitätten.

00:31:11: Und ich finde dieses Bild des Mutterschaftsurlaubs im Parlament sehr exemplarisch dafür, weil

00:31:17: man daran sehen kann, dass es eben einen Unterschied macht für wen, dass die politischen Verfahren

00:31:24: gedacht wurden.

00:31:25: Und da kann man auch wieder zurückkommen auf die Frage nach der Objektivität des Recht,

00:31:30: wenn das Recht eben Lebensrealitäten ausblendet und behauptet, neutral zu sein.

00:31:36: Aber diese Neutralität sich eben auf eine ganz bestimmte Existenzweise richtet, dass

00:31:42: dann eben ganz viele Lehrstellen entstehen oder in Bezug auf mein Thema eben sehr viele

00:31:49: heute ausgeschlossen werden von der Beteiligung am politischen Diskurs.

00:31:54: Und das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die politische Teilhabe einfach auch

00:31:59: immer möglichst gleich organisiert und gelebt wird wie bisher, anstatt dass man sie neu

00:32:05: denkt und denkt, ja, was als organisatorische, systematische Sicht, was sicher denn die größte

00:32:11: mögliche Teilhabe, oder?

00:32:12: Ja.

00:32:13: Ich hatte ein gutes Beispiel, eine Bekannte kürzlich, die hatten eine Abstimmung in der

00:32:19: Gemeinde über die Einführung von Tempo 30.

00:32:21: Und sie war stark dafür, weil sie hat junge Kinder.

00:32:25: Allerdings, sie muss physisch präsent sein an der Sitzung.

00:32:28: Natürlich ihr Lebenspartner im Idealfall ebenso, weil zwei Stimmen, und das geht einfach mit

00:32:34: der Kinderbetreuung nicht auf an einem regulären Atem.

00:32:38: Das heißt, sie müssen sich entscheiden, wer abstimmen geht.

00:32:41: Und es ist eine Stimme, versus, da waren wir jetzt in diesem Dorf, insbesondere ältere

00:32:46: Personen, die sich da nicht einschränken wollten in ihrem Bewegungsverhalten mit dem

00:32:51: Individualverkehr.

00:32:52: Aber für mich auch ein Beispiel, wo ich selbst noch nie so darüber nachgedacht habe, dass

00:32:57: es eben auch diese, ja, funktionalen Überlegungen gibt, wo man sich vielleicht nicht im Vorhinein

00:33:04: nachdenkt, man sagt ja, Gemeinsversammlung, da kann ja jeder, jeder Teil nehmen, oder?

00:33:08: Gerade wenn man das auch weiter denkt und über nicht institutionalisierte Prozesse nachdenkt,

00:33:14: wo findet eine Demonstrationsstadt in der Innenstadt beispielsweise?

00:33:19: Wer hat da Zugang?

00:33:21: Ist die Demorute rollstuhlgänglich?

00:33:23: Ist die Demo zugänglich für Menschen, die Mühe haben mit viel Lärm, beispielsweise

00:33:27: neurodivergenten Menschen?

00:33:29: Oder auch wann findet die Demonstrationsstadt an einem Samstag-Nachmittag beispielsweise?

00:33:34: Wer ist dann ausgeschlossen?

00:33:36: All jene, die Schicht arbeiten, alle jene, die auch am Wochenende arbeiten müssen.

00:33:41: Wenn man das dann weiterdenkt, kommen vielleicht auch noch mehrere Dinge dazu.

00:33:45: Zum Beispiel jemand, der Schicht arbeitet und da noch sehr viel Kehrarbeit zu übernehmen

00:33:49: hat, dann merkt man auch, wie sich verschiedene Kategorien überschneiden können und dann

00:33:54: zu weitergehenden Ausschlüssen führen könnten.

00:33:57: Genau, ja.

00:33:58: Ich bin sehr einverstanden mit den Dingen, die Sie jetzt ausgeführt haben.

00:34:03: Ein beeindruckendes Beispiel war für mich auch, die Stadt Bern hat bei den Wahlen 2020

00:34:10: analysiert, wer an den Wahlen teilgenommen hat und mit so Faktoren wie beispielsweise

00:34:16: Vermögen oder nicht.

00:34:18: Und da wurde ganz deutlich, dass bei Personen ohne Vermögen eine Wahlbeteiligung von 40

00:34:25: Prozent vorhanden war und bei Personen mit einem Vermögen über eine Million Franken

00:34:30: eine Beteiligung von über 80 Prozent.

00:34:33: Und ich glaube, diese Dinge lassen sich einfach schwer erfassen momentan mit dem rechtpolitischer

00:34:40: Pazipation, aber auch mit Diskriminierungsrecht.

00:34:42: Und deswegen glaube ich eben, dass Diskriminierungsrecht nicht nur als individueller Rechtsschutz,

00:34:49: sondern eben auch als Analysebrille quasi für rechtwissenschaftliche Forschung hilfreich

00:34:55: sein kann.

00:34:56: Und das kann sich auch gegenseitig verstärken.

00:34:59: Im mangelamerikanischen Bereich war ja vor allem beim Wahlverhalten von Afroamerikanern

00:35:06: ihnen immer wieder diese Rede, gemess MLK von "Learned Helplessness", diese Einstellung,

00:35:12: dass man sowieso nichts am politischen Prozess ändern kann und deswegen auch nicht teilnehmen

00:35:18: möchte oder sich dazu entscheidet, das nicht zu tun, spielen solche Thematiken in ihrer

00:35:23: Dissertation auch eine Rolle.

00:35:25: Ja, weil genau was sie jetzt schildern ist ja etwas, was man in der Diskriminierungsrechtsforschung

00:35:32: in den letzten 20 Jahren gelernt hat, nämlich diese Interaktion von Selbstidealfirkation,

00:35:39: Selbstzuordnung und Zuschreibung von diskriminierenden Kategorien und wie das eben interagiert.

00:35:46: Und so diese Konzepte eben, die im Diskriminierungsrecht passieren, die sind sehr hilfreich für die

00:35:53: Analysepolitische Beteiligung.

00:35:54: Nun, in ihrer Arbeit untersuchen Sie die Partizipation anhand von drei Parameten, den Zugang

00:36:01: zur Staatsbürgerschaft, die Repräsentation in der Legislative und die Versammlungsfreiheit.

00:36:08: Warum diese drei Bereiche?

00:36:10: Ich denke, dass diese drei Aspekte ganz unterschiedliche Funktionsweisen der Schweizer Demokratie

00:36:18: betreffen und aber deswegen auch sehr exemplarisch aufzeigen können, wo eben Lehrstellen vorhanden

00:36:25: sind.

00:36:26: Also so zum einen die Staatsbürgerschaft als Zentrum der Frage nach politischer Teilhabe,

00:36:32: auch wenn sie dann teilweise ausgebrochen wird durch Ausländer, Innenstiebenrechte

00:36:37: auf Gemeinde und Kantonebene, ist es schon so, dass ja die Staatsbürgerschaft die eigentliche

00:36:43: institutionalisierte Beteiligung ermöglicht.

00:36:45: Und in diesem Zusammenhang...

00:36:47: ist es eben sehr interessant, weil es ja gerade bei Einbürgerung eben diese konkreten Diskriminierungsfälle gab,

00:36:53: die Frage der Urnenabstimmungen, der Begründungen von Einbürgerungsverweigerungen,

00:36:59: insbesondere im Bezug auf Rassismus, aber eben auch intersektionale Diskriminierungen,

00:37:05: wie Frauen mit Kopftuch wurden nicht eingebürgert, oder eben auch der Fall, den wir schon besprochen hatten.

00:37:12: Dann in Bezug auf die Repräsentation, das haben wir auch schon besprochen, geht es ja sehr darum,

00:37:20: wie sind eigentlich diese Parlamente organisiert, um für alle Platz zu haben oder eben nicht Platz zu haben.

00:37:27: Ich habe gerade die Zahl vergessen, aber ein sehr großer Teil der Parlamentarier*innen sind ja Jurist*innen oder selbstständige Anwält*innen,

00:37:36: was auch darauf verweist, dass gewisse Lebensumstände eine große Rolle spielen, ob man eben dieses Amt einnehmen kann oder nicht.

00:37:45: Und was ich ganz wichtig finde in dieser Beziehung, dass es innerhalb der rechtswissenschaftlichen oder der Staats- rechtswissenschaftlichen Diskurse

00:37:56: kaum thematisiert wird und wenn es thematisiert wird, wird es mit der Wahlfreiheit als irrelevant beinahe abgetan.

00:38:05: Es wird häufig argumentiert, dass eben die soziale Zusammensetzung des Nationalrats eigentlich kein Abbild der Gesamtbevölkerung sein muss,

00:38:14: weil es das Ergebnis freier Willensbildung sei. Und wenn man das eben korrigieren würde,

00:38:19: ich glaube, die Diskussion zu viel Frauenquoten, dass das quasi die Willensbildung verfälschen würde,

00:38:24: das hat auch das Bundesgericht dann so gesagt. Und diese Diskussion glaube ich, die ist noch nicht fertig diskutiert.

00:38:32: Ich habe einen interessanten Aspekt gefunden von einem Autor, der das eben so begründet, der im selben Text darüber schreibt,

00:38:41: warum die Nationalrats Abgeordnetenzahl bei 200 liegt.

00:38:46: Und er begründet das so, dass diese 200 erst 1930 diskutiert wurden und 1963 dann per Volksabstimmen tatsächlich auch so fixiert wurden.

00:38:58: Aber der eigentliche Grund dafür war, dass es nicht mehr Platz hatte im Nationalrat.

00:39:03: Und davor sind die Anzahl abgehunden immer gestiegen mit dem Bevölkerungswachstum.

00:39:09: Wenn man da in die Materialien geht, kann man auch lesen, dass der Kommissionssprecher, der das im Rat vertreten hat,

00:39:17: erläutert hat, dass 200 das reingefühlsmäßige Optimum sei.

00:39:22: Der Autor, bei dem ich das gelesen habe, schreibt dann, es handelt sich dabei um ein schönes Beispiel für die normative Kraft des Faktischen.

00:39:30: Und ich habe diese Anekdote nur deswegen erzählt, weil ja auch die Beschränkung auf 200 eine Einschränkung der freien Willensbildung darstellt.

00:39:40: Und weil es, wenn es 500 Personen wäre, natürlich eine noch genauere Abbildung der Parteisterken und so weiter ermöglichen wurde.

00:39:48: Und ich finde es sehr interessant, dass eben die ungleiche Repräsentation hier mit anderen Argumenten diskutiert wird,

00:39:55: also wenn es zum Beispiel um das Geschlecht geht oder um sogenanntes soziales Zusammensetzungen des Nationalrats.

00:40:02: Und in Bezug auf Repräsentation gab es auch eine politologische Studie, die erzählt hat, wie sehr der Name von Kandidierenden

00:40:11: einen Einfluss darauf hat, ob jemand gewählt wird oder nicht.

00:40:16: Und es konnte über alle Parteien hinweg festgestellt werden, dass verhältnismäßig mehr Personen mit ausländisch klingenden Namen von den Listen gestrichen wurden,

00:40:26: als solche mit sogenanntes Schweizer Namen.

00:40:30: Und deswegen finde ich Repräsentation ein sehr wichtigen Ort für diese Diskussion.

00:40:36: Und natürlich wird sie auch schon sehr lange geführt in der feministischen Rechtswissenschaft in Bezug auf das Geschlecht.

00:40:43: Genau, und der dritte Punkt, eben der dritte Aspekt, die Versammlungsfreiheit, ist insbesondere deswegen interessant,

00:40:52: weil sie diese informelle Partizipation, die ich eben nicht außen vorlassen wollte, mit einer rechtlichen Brille analysierbar macht.

00:41:01: Wenn wir über politischen Protest- und Kundgebungen sprechen, gibt es einen Grundrecht darauf,

00:41:08: die Versammlungsfreiheit, die ja eben auch von den Gerichten in der Schweiz und auch vom EGMR immer wieder als von unschätzbarer Bedeutung,

00:41:17: für die Demokratie bezeichnet wird.

00:41:19: Und deswegen aber eben auch in der Lage ist, Leute in die Diskussion einzuschließen, die von der institutionalisierten Partizipation ausgeschlossen sind.

00:41:29: Welche Funktionen erfüllt denn die Versammlungsfreiheit für die Demokratie, aber auch für den Rechtsstaat?

00:41:39: Einerseits wird ja eben immer argumentiert, dass es von unschätzbarer Bedeutung ist, um eben auch gesellschaftliche Probleme oder Kritik sichtbar zu machen

00:41:49: und von außen an die politischen Institutionen heranzutragen.

00:41:54: Manchmal wird von einem Frühwarnsystem gesprochen und so weiter.

00:41:58: Gleichzeitig konnte man in der Schweiz aber auch sonst beobachten, inwiefern das Demonstrationen und politische Kundgebungen vermehrt eingeschränkt werden,

00:42:09: durch Polizeigesetze und so weiter, was zum Beispiel dazu geführt hat, das ämneste International.

00:42:16: Ich glaube, letztes Jahr hat sich das Hauptschwerpunkt für die nächsten fünf Jahre beschlossen, sich dem Recht zu demonstrieren zu widmen.

00:42:24: Demonstrationen sind im Moment ein sehr großes Thema.

00:42:30: Darf ich ganz kurz nachfragen mit dem Frühwarnsystem.

00:42:34: Meinen Sie den Frühwarnsystem für die Einschränkung der Demokratie im weiteren Sinne?

00:42:39: Genau. Der erste Punkt wäre sehr interessant, aber ich meine tatsächlich nur, dass darüber gesprochen wird,

00:42:46: dass wenn Demonstrationen passieren, insbesondere in Staaten mit keinen direkdemokratischen Elementen,

00:42:53: dass man das als Warnsystem nehmen kann für die politischen Institutionen, was die Gesellschaft beschäftigt.

00:43:00: Das ist natürlich in der Schweiz teilweise aufgebrochen durch die Möglichkeiten von Volksinitiativen und so weiter.

00:43:05: Aber ich würde auch hier sagen, dass man das schon so verstehen kann.

00:43:11: Ist es denn auch, wie bei der Versammlungsfreiheit ebenso bei den Volksinitiativen nicht auch so,

00:43:18: dass es wieder gewisse ökonomische Parameter erfüllt werden müssen, damit man da aktiv von diesem Instrument Gebrauch machen kann?

00:43:27: Ja, natürlich. Es gibt einfach andere Voraussetzungen, die nicht erfüllt werden müssen.

00:43:32: Man muss nicht eingebürgert werden, um an einer Demonstration teilzunehmen.

00:43:36: Deswegen ist es möglich, dass die Versammlungsfreiheit anderen Gruppen sich zu artikulieren,

00:43:42: die vielleicht eben nicht wählen können oder keine Volksinitiativen lossieren oder unterschreiben können.

00:43:49: Die Einschränkungen, die ich vorher erwähnt habe von der Versammlungsfreiheit,

00:43:56: zeigen, dass es eben aber ein ambivalentes Verhältnis ist, dass der Staat mit politischen Kundgebungen hat.

00:44:05: Einerseits ist er eben darauf angewiesen.

00:44:07: Man kann auch sagen, der Staat kann sich glücklich schätzen, wenn Bürgerinnen politisch aktiv sind und ihre Interessen auf die Straße tragen.

00:44:18: Das heißt, sie sind engagiert in Bezug auf staatliche Politik.

00:44:23: Es interessiert sie. Sie möchten ein Teil davon sein.

00:44:26: Gleichzeitig ist es natürlich aber auch so, dass eine öffentliche Versammlung ein gewisses Kraftpotenzial hat.

00:44:36: Es kann Dinge in Unruhe bringen, es kann Sachen in Bewegung setzen und kann auch quasi die Grundüberzeugungen der Staatlichkeit in Frage stellen.

00:44:47: Weil im Unterschied zur formellen Participation ist es ja nicht so, dass es Regeln gäbe, was gefordert werden kann an einer Demonstration.

00:44:55: Diese Forderungen können transformatorisch sein.

00:44:57: Demonstrationen können den Grundkonsens, wie ja manchmal argumentiert wird, in der Verfassung überwinden, ignorieren, in Frage stellen.

00:45:05: Und deswegen ist es nicht einfach für Staaten mit Demonstrationen sinnvoll umzugehen.

00:45:11: Und ich finde, diese Aspekte sind auch sehr wichtig, wenn man darüber reden will, wer teilnehmen kann an politischer Diskussion.

00:45:21: Und deswegen ist das der dritte Aspekt, den ich mich widme.

00:45:26: Ich möchte zurückkommen auf Artikel 8 Absatz 1 der Bundesverfassung.

00:45:31: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

00:45:34: Die Bundesverfassung schreibt also normativ die Rechtsgleichheit vor trotzdem.

00:45:39: Und das haben Sie jetzt an einigen anschaulichen Beispielen ausgeführt, ist das nicht immer so.

00:45:46: Wie ist mit diesen Diskrepanten der Gleichheit umzugehen?

00:45:50: Also ich hatte es am Anfang schon erwähnt.

00:45:53: Diese Gleichheit als Rechtssubjekte ist eine große Errungenschaft.

00:45:57: Und gleichzeitig verdeckt sie aber tatsächliche Ungleichheiten.

00:46:02: Und sie kennen ja sicher so die Definition des Bundesgerichtes, wenn es über Rechtsgleichheit spricht und wie es definiert, was dann eben rechtsgleich behandelt werden soll.

00:46:13: Und da kommen regelmäßig eben die herrschenden Anschauungen und Verhältnisse vor, die Teil dieser Definition sind.

00:46:22: Und das ist in Bezug auf Diskriminierungsrecht, aber auch in Bezug auf Ausschlüsse von der politischen Partizipation meiner Ansicht nach ein wichtiger Punkt.

00:46:33: Weil die Definition der herrschenden Anschauungen und Verhältnisse ist den Gerichten uns Rechtswissenschaftler*innen überlassen.

00:46:42: Wir wissen ungefähr, wie wir das machen müssen und wie das diskutiert werden kann.

00:46:47: Aber dieses Wissen ist ein implizites Wissen.

00:46:50: Wir lernen die sogenannt vernünftige Abwägung von Gleichheit und Ungleichheit.

00:46:55: Es gibt natürlich Aspekte, die eindeutig diskutiert werden können.

00:47:01: Aber wenn wir noch mal daran denken, wie eben das Verwaltungsgericht mit den Statistiken zu Sozialhilfeabhängigkeit und Alleinerzehenden umgegangen ist,

00:47:11: wird sehr schnell deutlich, dass es hier eben so ungeklärte Lehrstellen gibt, die dann vielleicht die Rechtsgleichheit auch infrage stellen.

00:47:22: Ich glaube, die Verwirklichung der Rechtsgleichheit ist ein Prozess, an dem es einfach weiterzuarbeiten gilt.

00:47:29: Und ich denke, wenn ausführlicher darüber geschrieben wird in den Rechtswissenschaften, wenn Gerichte ausführlicher darüber reden,

00:47:38: dann wie sie jetzt eben diese herrschenden Anschauen und Verhältnisse definieren und woran sie die Entscheide festmachen,

00:47:45: dass wir dann dem Ideal der Rechtsgleichheit näher kommen.

00:47:49: Und in Bezug auf die politische Partizipation haben wir es jetzt in verschiedenen Momenten schon angesprochen.

00:47:57: Wir haben ins Blizit darüber geredet, dass eben Ausländer ihnen kein Stimmrecht haben,

00:48:02: dass Menschen mit Behinderung teilweise ausgeschlossen werden

00:48:06: und dass eben der Zugang auch von Staatsbürger*innen zu verschiedenen Ämtern oder zu bestimmten Partizipationsformen auch je unterschiedlich ausgestaltet sind.

00:48:18: Und auch hier, denke ich, ist es eben wichtig, dass man genau analysiert, woran liegt das,

00:48:24: welche tatsächlichen Ungleichheiten kann das Recht nicht aufnehmen

00:48:28: und welche Ungleichheiten werden vielleicht einfach reproduziert, indem die rechtliche Organisationsform ausgerichtet ist auf ein bestimmtes Subjekt.

00:48:39: Die herrschende Auffassung, die anerkennt ja eine Diskriminierung als solche, wenn eine qualifizierte Ungleichbehandlung vorliegt

00:48:50: und das ist dann der Fall, wenn an einem sogenannten verpönten Merkmal angeknüpft wird.

00:48:55: Können wir vielleicht noch etwas genauer darüber besprechen, wann denn ein solches und welchen Merkmale als solche verpönten Merkmale anerkannt sind?

00:49:03: Ja, also ich habe natürlich die ganz einfache Antwort, die in der Verfassung stehen, in Artikel 8, aber die sind natürlich da nicht abschließend

00:49:13: und die wurden auch über die Rechtsprechung in die Verfassung aufgenommen.

00:49:18: Die Merkmale in der Verfassung aufgelistet sind Herkunft, Rasse, Geschlecht, Alter, Sprache, Soziale Stellung, Lebensform, religiöse, weltanschauliche, auto-politische Überzeugung oder eben Behinderung.

00:49:32: Diese Merkmale sind aber nicht abschließend, wie sie da aufgezählt wurden, sondern können auch ergänzt werden.

00:49:38: So hat eben das Verwaltungsgericht in dem Entscheid, den wir vorbesprochen haben, auch sehr lange argumentiert oder diskutiert, ob die existenzweise als Alleinerziehende eine solche Diskriminierungskategorie sein kann oder nicht

00:49:53: und ist dann zum Schluss gekommen, dass es das sein könnte, hat sich aber nicht entschieden, weil es dann sowieso erklärt hat, dass sie eine allfällige Diskriminierung gerechtfertigt wäre aufgrund des Bedürfnisses zu entscheiden,

00:50:06: wer eben eingebürgert werden kann oder nicht.

00:50:09: Und diese Merkmale, wie sie eben genannt werden, wurden vor der neuen Bundesverfassung von 1999 auch in der Rechtsprechung entwickelt, auch mit Bezug auf die EMRK und können auch jetzt weiter entwickelt werden.

00:50:26: Ich würde hier gerne noch anmerken, dass ich diese Terminologie des Merkmals etwas ungenau finde und es gab den Vorschlag von Diskriminierungskategorien oder Kategorisierung, den ich etwas genauer finde,

00:50:44: weil die Diskriminierungsforschung hat ja schon lange erkannt, dass es eben nicht darum geht, dass Individuen per se anders sind als eine Norm,

00:50:55: sondern dass es so ein Prozess von Zuschreibung, Selbstwahrnehmung, wie wir das vorhin schon diskutiert haben, ist, der so diese historische Erfahrung der Herabwürdigung von Personen, die in diese Kategorien fallen,

00:51:11: eben verschuldet hat oder verursacht hat.

00:51:15: Also wir hatten das in der Folge mit Noel Stucki anhand vom Behindertenrecht etwas genauer angeschaut, dass man Personen nicht als Personen mit eine Behinderung anerkannt,

00:51:25: sondern dass sie sich wiederfinden in einer Situation, wo ihnen eben auch diese Hindernisse in den Weg gelegt wird durch größere organisatorische strukturelle Gegebenheiten, oder?

00:51:40: Und ich denke, wenn man eben über Kategorien spricht und nicht über Merkmale, ist es vielleicht auch einfacher, so eine strukturelle Dimension von Diskriminierung zu denken und dann eben aber auch rechtlich anzuwenden.

00:51:55: Weil das Diskriminierungsrecht oder die Diskriminierungsverbote mit ihrem individuellen Ansatz reproduzieren, dadurch ja auch quasi die Andersartigkeit von Personen, die sich auf das Diskriminierungsverbot beziehen wollen.

00:52:12: Es wird dann offensichtlich, dass man eben abweichend ist in seiner Existenz und deswegen quasi diese Herabwürdigung erfährt und die staatlich ausgeglichen werden muss oder verhindert werden muss.

00:52:28: Und das verstellt, denke ich, den Blick darauf, dass es sehr viel mehr um Normalität geht, als um ein Individuum, das sich irgendwie falsch verhält, sondern dass es eben eine bestimmte Normalität ist, die im Recht aufrechterhalten wird, aber auch gesellschaftlich und dass das eben strukturell reflektiert werden muss.

00:52:52: Hätte der Vorteil einer Anerkennung der Diskriminierungskategorien wäre ein Vorteil davon auch, dass man sagen könnte, ja Merkmale, das ist etwas, was in der Regel immanent ist, oder?

00:53:05: Das ist ein Vorteil, so wie mit der Notwendigkeit des Sozialhilfebezugs, dass man bei der Kategorisierung sagen kann, ja das muss nicht immanent sein, das muss nicht immer so sein, sondern man kann fluid einmal in diese Kategorie fallen, in die Nächste, in verschiedene, die sich überlappen, dass das das auch erlauben würde, diese zeitlichen Limitationen, diesen Diskriminierungsbegriff in der Rente, diese zu überwinden.

00:53:32: Ganz genau, und ich denke auch, dass es eben eine andere Art der Reflexion ermöglicht, weil wenn man so über diese Kategorisierung in der Wurde Merkmale redet, dann wird häufig argumentiert, ja aber zum Beispiel die Hautfarbe, das ist ein gegebener Fakt, da geht es um ein Merkmal.

00:53:51: Und natürlich ist Hautfarbe nicht einfach ablegbar, gleichzeitig ist aber das Rassifizierende, die damit verbundene Diskriminierung nicht zwangsläufig verbunden und auch im besten Falle nicht für immer existent.

00:54:09: Das heißt, man ist dann in der Lage auch darüber nachzudenken, warum Rassifizierung an Hautfarbe anknüpft und inwiefern Rassifizierung überhaupt an Hautfarbe anknüpft, weil das ja zum Beispiel in Europa in Bezug auf Menschen aus Osteuropa gar nicht immer zutrifft, dass Rassifizierung aufgrund der Hautfarbe passiert, sondern aufgrund anderer Zuordnungen.

00:54:33: Und deswegen finde ich hier eine andere Begrifflichkeit einfach präziser.

00:54:40: Wenn wir von Merkmalen oder eben von Kategorien sprechen, verkennen wir manchmal, dass Menschen auch verschiedene Merkmale aufweisen oder in verschiedene Kategorien fallen können oder fallen.

00:54:55: Was geschieht soziologisch und/oder rechtlich, wenn an mehreren Merkmalen oder Kategorien anknüpft wird?

00:55:03: Kimberly Crenshaw, eine US-amerikanische Rechtsprofessorin, hat ja Ende der 80er Jahre an das Konzept der Intersektionalität geprägt und damit das Wissen aus aktivistischen Kontexten in die Rechtshissenschaften überführt.

00:55:20: Und sie hat dort eben gezeigt, dass die herkömmliche Dogmatik des Diskriminierungsrechts oder des Antidiskriminierungsrechts an ihre Grenzen stößt, wenn es darum geht, Personen die mehreren Diskriminierungskategorien zugeordnet werden können vor Diskriminierung zu schützen.

00:55:37: Und sie kennen vielleicht schon das Bild der Intersection, also der Kreuzung, das den Begriff geprägt hat, wo also verschiedene Diskriminierungsachsen wie zum Beispiel eben Geschlecht und Rassifizierung hier aufeinander treffen und deswegen eine andere Art der Diskriminierung nicht nur eine Verdoppelung, sondern eben eine eigene Diskriminierung herstellen können.

00:55:59: Der Fall, an dem sie das erklärt, ist ein Fall eines Unternehmens in den USA unter anderem, dass schwarze Männer für die Reparaturabteilung von Autos anstellt und weiße Frauen als Sekretärinnen aber keine schwarzen Frauen anstellt.

00:56:19: Und in diesem Fall hat dann das US-amerikanische Gericht argumentiert, dass keine Diskriminierung vorliegen könne, weil ja einerseits Männer angestellt würden und andererseits Frauen, aber eben nicht schwarze Frauen.

00:56:31: Und dieses Bild zeigt bereits, dass es nicht ganz einfach ist, mit den klaren Kategorien des Diskriminierungsrechts, hier mit den tatsächlichen Verhältnissen umzugehen.

00:56:40: Ich finde aber das zweite Bild, das in dem Artikel noch verwendet, fast einleuchtender oder vielsagender, da geht es nämlich darum sehr abstrakt, dass man sich Leute vorstellen soll, die so aufeinander gestapeln, einander auf den Schultern stehen, in einem Keller.

00:56:56: Und die oberste Person, die kann dann durch eine Luke in der Decke auf die nächste Ebene gelangen und sieht da, dass überhaupt erst der Erdboden ist, wo ganz viele andere Leute sich schon aufhalten.

00:57:11: Und sie will damit sagen, dass diese Luke eben das Antidiskriminierungsrecht ist, dass aber eben nur sich darauf bezieht, dass wenn man normal im Sinne der Personen ist, die oben sich bewegen, dass man eigentlich nur ein Merkmal oder nur eine Kategorie aufweist oder einer zugeordnet werden kann, die eben davon abweicht.

00:57:33: Also sie sagt dann zum Beispiel, dass weiße Frauen aus guten ökonomischen Verhältnissen ohne Behinderungen, das sind dann die, die zu oberst auf den Schultern dieser Gruppe stehen und dann vom Antidiskriminierungsrecht quasi gefördert auf die obere Ebene gehen können.

00:57:51: Und ich denke, dass man eben in dem Entscheid, den ich vorher schon geschildert habe, gut sehen kann, wie schwierig es ist für die herkömmliche Diskriminierungsrechtsdokumate, damit eben umzugehen, dass verschiedene Aspekte, verschiedene Lebensrealitäten mit einbezogen werden müssen, wenn es um Ungleichbehandlungen geht.

00:58:13: Reicht denn eine Ausweitung des Diskriminierungsrechts aus, um diese größten Schwachstellen des Schweizer Rechts- und Schnittstelle Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Ungleichheit zu beheben?

00:58:25: Reicht es zum Beispiel aus, wenn wir einfach diese Diskriminierungsmerkmale oder Kategorien ausweiten, braucht es ein systematisches Diskriminierungsverbot? Wie könnte man gerade mit Herausforderungen wie der Intersectional Discrimination rechtlich optimal umgehen?

00:58:44: Gibt es da bereits Antworten?

00:58:46: Also es gibt den Vorschlag von Susanne Baer, die sagt, dass eben diese Kategorien essenzialisierte Vorstellungen und Identitätskonzepte verfestigend anstatt sie aufzubrechen und dass deswegen ein Postkategorial als Antidiskriminierungsrecht vorschlägt, wo es dann darum gehen würde, situativ zu analysieren in jeder Situation, wo sind quasi die unterdrückten Gruppen,

00:59:15: wer wird hier benachteiligt, welche strukturellen Faktoren spielen im konkreten Fall eine Rolle und so dann ein Diskriminierungsrecht auszugestalten?

00:59:25: Ich finde das Konzeptuell sehr anspruchsvoll, wenn man sich versucht zu überlegen, wie das dann umgesetzt werden soll.

00:59:31: Und ich bin aber überzeugt, dass bereits in der aktuellen Rechtsdogmatik so, wie sie funktioniert, sehr viel getan werden kann, um gerechtere Entscheidungen zu fällen oder jedenfalls Entscheidungen, die näher an der Realität sind oder genauer mit den Sachverhalten umgehen.

00:59:49: Einerseits glaube ich tatsächlich, dass man Lösungen entwickeln muss, wie Gerichte mit Statistiken umgehen können, weil es ist ja auch kaum denkbar, dass Gerichte selbst an empirische Forschung machen in so einem Diskriminierungsfall,

01:00:07: aber es muss irgendwelche Regeln geben, wie Rechtsprechung an diesen empirischen Grundlagen orientieren kann und wie sie damit umgehen muss.

01:00:15: Ich denke, in dem Fall, den wir besprochen haben, wäre schon sehr viel anders entschieden worden, wenn auch eine aktive Kritik dieser Statistiken zum Beispiel stattgefunden hätte oder ein reflektierter Umgang damit, welche empirischen Grundlagen in welchen Fällen zur Anwendung kommen.

01:00:35: Und gleichzeitig glaube ich aber auch, dass so diese individualisierende Perspektive des Diskriminierungsrechts nicht die einzige sein darf.

01:00:45: Und wie ich schon gesagt, das ist auch schon anders. Es gibt ja Dinge wie Gleichstellungsbüros oder Antirassismuskampagnen und so weiter.

01:00:55: Es gibt andere Aspekte, die hier mit einbezogen werden. Aber ich denke, dass auch in einzelnen Diskriminierungsfällen die strukturelle Dimension einfach mitgedacht werden muss.

01:01:08: Ich möchte zum Schluss noch auf ihre Arbeit am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung zu sprechen kommen.

01:01:17: Da gibt es ja verschiedene Projekte, die Sie beteuen. Möchten Sie uns dazu etwas ausführen oder auch zur Arbeit des IZFG allgemein?

01:01:27: Gerne. Das IZFG ist ja ein Kompetenzzentrum, also nicht dasselbe wie die Fakultäten der Universität und auch fokussiert auf die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis.

01:01:39: Das bedeutet, dass es auch sehr viele Forschungsaufträge aus der Verwaltung zum Beispiel beantwortet, dass es längerfristige Projekte,

01:01:49: auch wie zum Beispiel die Women's Humans Rights App, vielleicht kennen Sie das schon, das ist insbesondere für Diplomaten Ihnen interessant,

01:01:57: weil wir da UN-Dokumente sinnvoll zusammenstellen, so dass Sie eben in Bezug auf die einzelnen Thematiken einfacher aufwindbar sind und so weiter.

01:02:07: Wir machen aber auch immer wieder Berichte als Grundlage für Postulate, die in nationalen oder kantonalen Parlamenten gemacht werden.

01:02:17: Und es gibt natürlich auch einen Studiengang, also einen Masterminor, den man studieren kann.

01:02:23: Und dort habe ich zum Beispiel ein Seminar gemacht zur Einführung in die legal Chandlerstatus, was sehr faszinierend ist und sich Ihnen allen nur empfehlen kann,

01:02:33: bei den Chandlerstatus zu unterrichten, weil die Studierenden sind sehr begeistert von den Rechtswissenschaften.

01:02:39: Im Moment mache ich zum Beispiel auch ein Seminar mit Judith Wittenbach von der Juristischen Fakultät zur Rechtsmobilisierung,

01:02:47: wo wir auch Chandlerstatus Studierende und Youth Studierende zusammen unterrichten, das eine große Herausforderung ist,

01:02:53: auch für die Studierenden schon in dem Stadium interdisziplinär zu arbeiten.

01:02:59: Aber wir hatten das letztes Jahr schon gemacht, die Rückmeldungen waren äußerst positiv.

01:03:04: Und ich denke gerade, wenn wir darüber reden in Bezug auf die Methoden der Rechtswissenschaften,

01:03:11: ist es sicher auch ein guter Ansatz schon Studierende mit anderen Disziplinen und anderen Methoden in Berührung zu bringen während des Studiums.

01:03:20: Darf ich vielleicht noch rückfragen, was heißt legal Chandlerstatus, was ist denn unterzuverstehen?

01:03:25: Das ist eine sehr große Frage. Kurz gesagt geht es darum, dass wir uns mit geschlechter Verhältnissen im Recht auseinandersetzen.

01:03:35: Es geht darum, was eben das Recht mit dem Geschlecht macht und inwiefern das Geschlecht eine rechtliche Kategorie ist

01:03:43: und was das für Konsequenzen hat für die Geschlechterverhältnisse auch in den Gesellschaften.

01:03:49: Also zum Beispiel ist die Frage der Eintragung eines dritten Geschlechts oder die Streichung des Geschlechts eintrags Teil der legal Chandlerstatus.

01:03:58: Oder auch die Frage von Quoten oder die Frage, inwiefern das eben Alleinerziehende diskriminiert werden bei der Einbürgerung oder nicht.

01:04:11: Ich hatte auch noch eine Rückfrage zur Rechtsmobilisierung. Können Sie da noch ausführen, wie Sie das im Seminar verstehen?

01:04:20: Also Rechtsmobilisierung stehen wir als Begriff für strategische Prozessführungen insbesondere.

01:04:28: Also da geht es darum, dass Gruppen politischer Aktivist*innen oder einfach die Zivilgesellschaft ein Anliegen hat

01:04:36: und dann entscheidet, dass sie ihr Anliegen nicht auf den politischen Weg oder nicht nur auf den politischen Weg, sondern eben auch auf dem rechtlichen Weg versucht durchzusetzen.

01:04:46: Problinentes Beispiel im Moment ist sicher, darüber kennen Sie sich ja gut aus, die Klimasenieur*innen, die eben ihr Anliegen an eine sinnvolle Klimapolitik über den EGMR durchsetzen wollten.

01:05:00: Auch interessant, wie der Diskurs im Parlament stattgefunden hat nach Urteilspruch des EGMRs, was da über die älteren Damen aus der Schweiz gesagt wurde.

01:05:13: Genau.

01:05:14: Das ist auch sehr interessant.

01:05:15: Auch deswegen ist das dann ein Teil der legal Chandlerstatus.

01:05:19: Und vielleicht noch als Ergänzung, die strategische Prozessführung oder Rechtsmobilisierung hat in den letzten 10, 20 Jahren wieder einen Hoch.

01:05:27: Aber die Ursprünge liegen ja tatsächlich in der feministischen Bewegung und auch in der Bürgerrechtsbewegung in den USA.

01:05:35: Und deswegen schließt sich dann eben der Kreis auch wieder in Bezug auf die legal Chandlerstatus.

01:05:40: Selbst in der Schweiz, die nicht aus "Common Law Country" gilt, wo der Rechtsprechung nicht ein so großes Gewicht gerade jetzt in der Weiterbildung des Rechts zugesprochen wird, wie der Legislative.

01:05:55: In Bezug auf das Frauenstimmrecht kann man da zum Beispiel etwas erkennen, dass sie auch immer wieder vor Gerichten versucht worden ist, durchzusetzen und schließlich im Ab- und Zell-Inner-Roden auch gerichtlich durchgesetzt wurde,

01:06:09: nachdem die politischen Versuche gescheitert sind.

01:06:12: Und auch der berühmte Fall der Emily Camping-Spiri, den sie es bestimmt kennen, wo es ja um die Durchsetzung der Rechtsgleichheit für Frauen ging,

01:06:21: wurde vor Gericht zwar erfolglos, aber versucht zu erkämpfen.

01:06:26: Und interessant ist ja bei diesen beiden Beispielen auch, dass das eben der Punkt auch der Rechtsmobilisierung ist, dass es häufig nicht in erster Linie darum geht,

01:06:36: siegreich zu sein vor den Gerichten, sondern eben auch durch die Rechtsverfahren politische Diskussionen zu beschleunigen oder erst anzustoßen.

01:06:46: Dann gehe ich davon aus, dass Sie das Klimasenior in den Urteil oder die Rezeption in der Schweiz mit einer gewissen Distanz beurteilen,

01:06:55: oder waren Sie mit Bezug auf strategische, das war ja auch ein Fall, strategische Prozessführung,

01:07:03: da wurde also wirklich als Präzedenzfall in so vielen Bereichen, war erfolgreich und hat kaum bis keine Wirkung in der Schweiz,

01:07:13: wenn man das eng rechtlich beurteilt und Sie sagen, dass eben auch der Diskurs im weiteren Sinne eine Rolle spielt.

01:07:20: Ja, genau. Also im Moment ist ja der Diskurs in der Schweiz sehr stark beeinflusst von diesem Urteil,

01:07:28: leider würde ich sagen nicht in Bezug auf Klimapolitik, sondern in Bezug auf den Umgang der Schweiz mit dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte,

01:07:39: was wahrscheinlich nicht bezweckt worden war von diesen Klimaseniorinnen.

01:07:44: Gleichzeitig können wir im Moment noch nicht sagen, was dieser Entscheidung längerfristig für Wirkungen auf die Schweizer Klimapolitik haben will.

01:07:51: Auch wenn es im Moment so aussieht, als hätte es keinen positiven Einfluss jedenfalls auf eine progressive Klimapolitik,

01:08:00: würde ich behaupten, dass das nicht ausgeschlossen ist, dass sich das noch verändern kann.

01:08:05: Man sieht auch, dass sich ja um diesen Entscheid herum Klimaaktivistinnen wieder mobilisiert haben

01:08:12: und auch in Bezug auf die eben ehemaligen negativen Reaktionen des Parlaments und des Bundesrates darauf,

01:08:19: dass das vielleicht auch wieder ein Momentum schafft für eine eben ehemalig aktivistische Klimapolitik.

01:08:27: Ich finde, all diese Beispiele zeigen auch sehr schön auf, wie sich Recht und Politik gleichzeitig bedingen, beeinflussen,

01:08:35: aber auch wieder verstärken, indem man strategische Prozesse führt

01:08:39: und diese Entscheidung für die strategischen Prozesse bereits auf einen politischen Diskurs basieren,

01:08:46: aber der strategische Prozess dann auch wieder weiter einen politischen Diskurs anschreibt

01:08:51: und wir so in einen diskursiven Kontext auch zwischen Recht und Politik kommen.

01:08:57: Frau Huckentobler, wir haben nun einige der zentralen Elemente, die das rechtliche und politische System in der Schweiz ausmachen, kritisch beleuchtet.

01:09:06: Was bedeutet das allerdings im Großen und Ganzen?

01:09:09: Haben wir in der Schweiz in Anführungs- und Schlusszeichen lediglich ein verkürztes Verständnis der Demokratie,

01:09:16: politischen Partizipation und Gleichheit, respektive Ungleichheit?

01:09:21: Oder kann unsere Berücksichtigung der besprochenen Unzulänglichkeiten überhaupt noch von Demokratie, politischer Partizipation und Gleichheit die Rede sein?

01:09:31: Ich kann diese Frage natürlich noch nicht beantworten, weil ich das Fazit meiner Dies noch nicht geschrieben habe,

01:09:37: aber jedenfalls ist mir das ein bisschen zu eindeutig, wie Sie das hier formulieren.

01:09:42: Ich glaube, Sie können schon einerseits sagen, dass der Schweizer Verfassungstaat seit 1848 es schon immer wieder geschafft hat,

01:09:51: neue Gruppen von Menschen zu integrieren und dass mittlerweile sehr viel mehr Menschen partizipieren können

01:09:59: und dass auch die Partizipationsrechte so angepasst wurden, dass es einfacher ist, teilzunehmen.

01:10:07: Nur schon die Einführung des Propolsgedanken hat natürlich dazu geführt, dass unterschiedliche Positionen besser abgebildet wurden im demokratischen System.

01:10:18: Aber gleichzeitig, das ist ja auch mein Punkt, den ich vorher schon gemacht habe, haben sich Strukturen verstetigt,

01:10:26: gibt es Kontinuität in dieses Ausschlusses und kann man schon von einer Kontinuität des Ausschlusses der demokratischen Partizipation

01:10:35: seit 1848 auch sprechen. Und so haben sich dann eben gesellschaftliche Ungleichheiten auch ins Recht eingeschrieben

01:10:43: und das Recht zu einem Recht gemacht, das nicht überall mit Ungleichheiten sinnvoll umgehen kann.

01:10:50: Vielleicht muss man abschließend einfach einsehen, dass demokratische Prozesse eben Prozesse sind,

01:10:56: die aktiv gestaltet werden müssen und die verändert werden müssen, um überhaupt von einer substanziellen Demokratie sprechen zu können.

01:11:08: Der wichtigste Punkt scheint mir auf jeden Fall, dass man sich nicht zurücklehnen kann und mit einer Überhöhung der alten Eidgenossenschaft,

01:11:19: des Rütlichwurs und der Demokratietradition der Schweiz davon ausgehen kann, dass sich das selber regelt,

01:11:27: sondern dass gerade in den Rechtswissenschaften ein kritischer Blick auf die eigene Organisation

01:11:34: und die eigene Tätigkeit in Bezug auf das Staatsrecht eine Grundvoraussetzung sind, um Demokratie wenigstens teilweise zu verwirklichen.

01:11:44: Ich würde abschließend sagen, dass das demokratische System der Schweiz voller Widersprüche ist, die auch nur teilweise aufgelöst werden können.

01:11:54: Wichtig ist vielleicht auch, dass sich die Rechtswissenschaften immer wieder offen zeigen, eben für gesellschaftliche Anliegen

01:12:03: und sie wie erforderlich eben ins Recht übersetzen, so dass das Recht dann eben auch sinnvoll mit den gesellschaftlichen Verhältnissen umgehen kann.

01:12:15: Vielen lieben Dank, Frau Hugentobler, dass Sie heute bei uns waren.

01:12:19: Wir haben unglaublich viel gelernt heute und wir wünschen Ihnen für den Abschluss der Dissertation viel Kraft,

01:12:27: viel positive Gedanken, viel Durchhaltevermögen und vor allem auch sehr, sehr viel Freude im Abschluss.

01:12:34: Ganz lieben Dank, dass Sie heute hier waren.

01:12:36: Vielen lieben Dank für das angenehme Gespräch.

01:12:39: Vielen Dank auch von mir und insbesondere vielen Dank für die spannenden Fragen.

01:12:44: Ich und das meint Charlotte Platner möchte mich hiermit auch selbst noch von dieser Podcastreihe verabschieden.

01:12:52: Das war leider meine letzte Podcastaufnahme als Interviewerin.

01:12:58: Ich verlasse die Universität Ben und damit auch das Podcastprojekt.

01:13:02: Leider auf Ende dieses Jahres.

01:13:04: Wir haben aber eine spannende Nachfolge in Petto, also ich hoffe, Sie bleiben gespannt und wir freuen uns sehr bereits auf die nächste Aufnahme.

01:13:12: Vielen lieben Dank auch an Sie, Frau Dr. Platner, für Ihre immer wieder sehr spannenden Fragen und Inputs.

01:13:20: [Musik]

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