Rechtsfolge 16 Restorative Justice

Shownotes

Wer eine Straftat begeht, der widersetzt sich nicht nur gesetzlichen Normen, deren Verletzung es zu ahnden gilt. Vielmehr wird dabei individuellen Menschen Unrecht und Leid zugefügt. Das Verbrechen zerstört die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Täter und Opfer, sowie jene zur Gesellschaft. Und genau diese Beziehungen wiederherzustellen sei das ureigene, menschliche Bedürfnis nach Konfliktbewältigung – ein Bedürfnis, dem die Strafe alleine nicht gerecht wird.

In jüngster Zeit wurden entsprechend Forderungen nach wiederherstellenden, restaurativen Modellen der Gerechtigkeit im Strafrecht und Strafprozessrecht laut – nach Restorative Justice.

Wir gehen diesem Konzept in Rechtsfolge 16 diesem Konzept mit Prof. Ineke Pruin nach.

Prof. Ineke Pruin hat Rechtswissenschaften an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald, der Universidad País Vasco in San Sebastián und der Universität Mannheim studiert. Sie hat an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald zum deutschen Jugendstrafrecht promoviert und verfasste ebenda ihre Habilitation zur Entlassung aus dem Strafvollzug. In ihrer wissenschaftlichen Arbeit befasst sie sich schwerpunktmässig mit dem Justizvollzug und der Rehabilitation. Ineke Pruin ist seit 2021 assoziierte Professorin für Kriminologie am Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Juristischen Fakultät der Universität Bern.

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Bern:

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00:00:00: Wer eine Straftat begeht, der widersetzt sich nicht nur gesetzlichen Normen, deren

00:00:15: Verletzung es zu anderen gilt, quasi um das Respekt vor der Rechtsordnung will, vielmehr

00:00:21: wird dabei individuellen Menschen in einem konkreten Fall Unrecht und Leid zugefügt.

00:00:26: Das Verbrechen zerstört die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Täter und Opfer sowie

00:00:32: jene zur Gesellschaft. Und genau diese Beziehungen wiederherzustellen sei das

00:00:36: ureigene menschliche Bedürfnis nach Konfliktbewältigung. Ein Bedürfnis, dem die Strafe alleine nicht gerecht

00:00:43: wird. In jüngster Zeit wurden entsprechend Forderungen nach wiederherstellenden restaurativen

00:00:51: Modellen der Gerechtigkeit im Strafrecht und Strafprozessrecht laut, kurzum nach Restorative

00:00:57: Justice. Wir haben heute die große Ehre und Freude, diesem Konzept mit Professorin Inike Prün

00:01:04: auf den Grund zu gehen. Wir wollen wissen, was meint Restorative Justice konkret? Welche

00:01:11: neuen Ansätze verfolgt das Konzept und wie wird es umgesetzt? Wie steht die sogenannte

00:01:17: Wiedergutmachung zur Strafe? Kann sie den Interessen von Opfern, Tätern und der Gesellschaft

00:01:23: im Strafe fahren tatsächlich besser gerecht werden? Inike Prün hat Rechtswissenschaften

00:01:28: an der Ernst Moritz-Aand Universität in Greifswald, der Universität Bayes Vasco in San Sebastian,

00:01:34: Spanien und der Universität Mannheim studiert. Sie hat an der Ernst Moritz-Aand Universität

00:01:40: Greifswald zum Deutschen Jugendstrafrecht promoviert und verwasste eben da ihre Habilitation

00:01:46: zur Entlassung aus dem Strafvollzug. In ihrer wissenschaftlichen Arbeit befasst sie

00:01:51: sich schwerpunktmäßig mit dem Justizvollzug und der Rehabilitation. Inike Prün war von

00:01:58: 2015 bis 2021 Assistenzprofessorin an der Universität Bern und ist seit 2021 Assoziierte

00:02:07: Professorin eben da. Mein Name ist Lara Hitz und ich bin die Hilfsassistentin der Social

00:02:12: Media Projects und neben mir sitzt Dr. Charlotte Blattner, Oberassistentin am Institut für

00:02:18: öffentliches Recht. Sehr geehrte Frau Professorin Prün, schön, dass Sie heute mit uns hier

00:02:24: sind. Wieso widmen Sie Ihre Karriere gerade der Kriminologie? Was fasziniert Sie an diesem

00:02:32: Rechtsgebiet? Ich bin mit der Kriminologie zum ersten Mal im vierten Studiensemester

00:02:41: in Kontakt gekommen durch eine Vorlesung an der Universität Greifswald und hatte die

00:02:46: ersten drei Studiensemester in meinem Youth-Studium öfter auch mit der Frage zu tun, ob das eigentlich

00:02:52: das Richtige ist für mich, weil ich etwas die Interdisziplinarität vermisst habe, weil

00:03:00: ich ein wenig gemerkt habe, dass die Gedankenstrukturen doch sehr formal sind und mir auch gewisse

00:03:08: Teile meines menschlichen Lebens, insbesondere auch emotionale Themen auch ein bisschen zu

00:03:14: kurz gekommen sind. Und dann habe ich die Kriminologie kennengelernt und da war das alles vorhanden.

00:03:20: Die Kriminologie beschäftigt sich nicht nur mit juristischen Fragen, sondern vor allen

00:03:24: Dingen auch mit psychologischen Fragen und sociologischen Fragen, auch mit medizinischen

00:03:28: Fragen. Die Kriminologie ist international im Gegensatz eben zum Youth-Studium, das ja

00:03:34: doch sehr national ist häufig und habe da sehr viel wiedergefunden von dem, was mich

00:03:41: interessiert. Deswegen bin ich dann dabei geblieben und habe das auch immer weiter ausgebaut.

00:03:45: Hatte sich denn mit der Restorative Justice genauso verhalten? Was hat sie zu diesem

00:03:53: Fokusbereich so ein bisschen gebracht? Was fasziniert sie weiterhin daran?

00:03:58: Genau, die Restorative Justice war dann die Folge auch dieser Entscheidung. Ich habe dann

00:04:02: schon mein erstes Studienpraktikum auch bei der Jugendgerichtshilfe gemacht. Das ist

00:04:08: so etwas, was ein wenig vergleichbar ist mit der Jugendanwaltschaft in der Schweiz, also

00:04:13: auch Sozialarbeitende, die sich um straffällig gewordenen Jugendliche kümmern, ohne die Staatsanwaltschaft,

00:04:19: also nur dieser Teil der soziale Arbeit, arbeitet bei der Jugendgerichtshilfe in Deutschland.

00:04:24: Und die waren dann zu dieser Zeit gerade dabei, die Restorative Justice im Jugendstrafrecht

00:04:31: umzusetzen, den Täter-Opferausgleich im Jugendstrafrecht einzuführen. Und als Praktikantin wurde

00:04:36: ich ganz früh damit dann auch befasst. Ich kam dann von der Universität und man hat

00:04:40: dann wahrscheinlich auch gehofft, dass ich so ein bisschen Zeit habe, da zu recherchieren

00:04:44: und herauszufinden, wie man das alles macht. Und so war ich dann eben schon früh im Studium

00:04:49: mit dem Täter-Opferausgleich im Jugendstrafrecht befasst und habe das dann auch bis zum Ende

00:04:54: meines Referendariats durchgeführt, später sogar nebenberuflich den Täter-Opferausgleich

00:05:00: in meiner Gemeinde im Rhein-Neckar-Kreis verantwortet. Also ich war verantwortlich für die Konzeption

00:05:06: und auch für die Durchführung teilweise des Täter-Opferausgleichs im Jugendstrafrecht.

00:05:10: Und habe das dann natürlich auch verbunden mit meinem kriminologischen Interesse, dadurch,

00:05:15: dass diejenigen, die über Restorative Justice nachdenken, in der Regel häufig eng mit

00:05:22: der Kriminologie verbunden sind, konnte ich dann auch diese ganze Entwicklung der Restorative

00:05:27: Justice in Europa auf meinen Kriminologietagungen gut mitbekommen, gut begleiten und war damit

00:05:34: dann immer interessenmäßig im Kontakt. Und habe dann entdeckt an der Universität

00:05:42: Bern, das auch meine Kollegin Marianne Lehmkuhl damit sehr stark befasst ist und so haben

00:05:47: wir uns dann auch zu dieser Thematik zusammengetan. Als ich in die Schweiz gekommen bin, habe

00:05:50: ich den Kontakt gesucht auch zu Restorative Justice in der Schweiz, zum Schweizerischen

00:05:56: Forum für Restorative Justice beispielsweise und dann eben mit Marianne Lehmkuhl überlegt,

00:06:03: was wir dann auch tun können in der Forschung, um die Restorative Justice sichtbarer zu machen,

00:06:08: voranzubringen. Und das hat gemündet in unserem aktuellen Projekt, in dem wir für eine internationale

00:06:14: Encyclopädie für Restorative Justice den Teil für Europa verantworten als Herausgeberin

00:06:21: gemeinsam mit meinem Doktorvater aus Greifswald und einer Kollegin aus Neuseeland, die sich

00:06:26: der Restorative Justice ebenfalls widmet. Und insofern sind wir gerade auch in der Forschung

00:06:32: bei uns am Institut Engler mit befasst. Und da war also eine enge Verflechtung von Proxies

00:06:38: wie auch Wissenschaft. Das sind wir wieder bei der Interdisziplinarität. Wir haben jetzt

00:06:44: bereits viel über Restorative Justice gesprochen, das hört sich etwas nach einem englischen

00:06:49: Schlagwort an. Was ist denn genau darunter zu verstehen? Die Definition für Restorative

00:06:56: Justice ist nicht so ganz einheitlich und darüber haben wir auch schon geschrieben. Es geht bei

00:07:03: Restorative Justice um verschiedene Verfahrensarten, in denen Betroffene und Straftaten und damit

00:07:14: ist ein weites Feld gemeint, also nicht nur die Person, die wir normalerweise als Täter,

00:07:19: als Täterin beschreiben oder die Person, die wir als Opfer beschreiben, sondern eben auch andere

00:07:24: Angehörige, die betroffen sind, die weitere Gesellschaft, die betroffen sein kann, dass

00:07:29: die zusammenkommen und miteinander über die Straftat und die Folgen der Straftat sich austauschen,

00:07:38: mit dem Ziel Lösungen zu finden, mit dem Ziel Verstrickungen aufzudecken und darüber zu reden

00:07:47: und mit dem Endziel, dass es hinterher besser ist als vorher. So kann man das vielleicht beschreiben.

00:07:53: Und Restorative Justice ist gewissermaßen der Oberbegriff für alle Verfahrensarten, für alle

00:08:01: Prozesse, die sich diesem Ziel gewidmet haben. Weiterhin würde ich sagen, ob wir etwas als

00:08:10: Restorative Justice Verfahren begreifen oder nicht, muss auch damit zusammenhängen, ob

00:08:15: gewisse Prinzipien eingehalten werden, also damit wir ein Verfahren als Restorative Justice Verfahren

00:08:20: begreifen können, muss unbedingt zum Beispiel das Prinzip der Freiwilligkeit beachtet sein. Also

00:08:28: wenn jemand nicht freiwillig teilnimmt, dann kann das in meinen Augen keine Restorative Justice mehr

00:08:35: sein und es muss auch sichergestellt werden, dass das Verfahren moderiert wird durch wirklich

00:08:41: eine unparteiische Person und nicht durch eine Person, die eigene Ziele verfolgt, dann kann das Ziel

00:08:47: der Restorative Justice, so wie wir es verstehen, so wie der Europarat das definiert, kann es nicht

00:08:53: mehr stattfinden. Sie haben vorher bereits erwähnt, dass Sie Emotionen auch stark beschäftigen,

00:09:01: woher kommt denn das Bedürfnis nach dem restaurativen Umgang mit Straftaten oder nach eben solchen

00:09:07: Prozessen? Straftaten sind ein Eingriff in das Leben von Menschen und zwar nicht nur in das Leben

00:09:15: der Geschädigten, auch in das Leben von Täter*innen, das habe ich auch gelernt in meiner Praxis der

00:09:20: Restorative Justice, aber vor allen Dingen natürlich in das Leben von Geschädigten. Straftaten

00:09:26: können im schlimmsten Fall zu Traumata führen und Straftaten führen zu vielen Fragen, vor allen

00:09:38: Dingen auf der Seite der Geschädigten. Typische Fragen sind, warum gerade ich, warum ist mir das

00:09:44: angetan worden, was kann ich tun, damit mir das nicht wieder passiert? Das sind die typischen

00:09:49: Fragen, die Geschädigte von Straftaten auch haben. Und da kann die Restorative Justice ansetzen,

00:09:56: da kann die Restorative Justice ansetzen und kann da eben Antworten liefern oder kann Räume

00:10:02: schaffen, damit sich wirklich auch die Geschädigten von Straftaten austauschen können, damit sie

00:10:08: diese Fragen stellen können, damit sie auch die Möglichkeit haben zu sagen, was ihnen passiert

00:10:13: ist und das zu einem weitaus stärkerem Ausmaß, als sie das in einem Strafprozess tun können.

00:10:22: Wir haben jetzt kurz die Geschädigten Seite beleuchtet, können Sie noch ein, zwei Worte dazu

00:10:27: verlieren, wie auch auf Täter*innen Seite es zu einer Huphtur kommt, mit der Straftat und da

00:10:34: dieses Bedürfnis nach Restoration auf kommt? Wir haben ja oft den Eindruck von Täter*innen,

00:10:42: dass sie eher gefühlskalt agieren, dass sie eher auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, dass sie

00:10:48: durch das, wie wir sie wahrnehmen, auch vielleicht im Strafprozess eben eher wie entmenschlicht

00:10:56: wahrgenommen werden. Dabei ist meine Erfahrung mit Straftäter*innen, dass das 99% der Fälle

00:11:03: nicht der Fall ist, sondern dass Straftäter*innen sehr oft beschäftigt sind nach Straftaten mit

00:11:10: großer Scham, mit Traurigkeit, mit Selbstunverständnis über das, was sie getan haben und mit dem großen

00:11:20: Bedürfnis auch auf dem menschlicher Ebene wieder etwas gut machen zu können. Das es wirklich

00:11:28: Täter*innen komplett kalt lässt, was sie den Opfern angetan haben, habe ich zumindest im

00:11:33: Historic Justice-Context nie mitbekommen. Manchmal wird das versteckt hinter einer Maske von

00:11:40: Coolness, gerade bei Jugendlichen und im Strafprozess führen natürlich wichtige rechtsstaatliche

00:11:50: Garantien dazu, dass diese Ebene teilweise gar nicht zum Tragen kommt, wenn zum Beispiel eben

00:11:56: aus prozess-taktischen Gründen richtigerweise der Täter oder die Täter*innen gar keine Aussagen

00:12:02: macht zu dem, was passiert ist. Und da kann die Restorative Justice eine Plattform sein,

00:12:09: eben auch für den Täter*innen darüber zu reden und diese Teile, diese eigenen Verstrickungen

00:12:18: mit der Straftat zu lösen oder wieder auf eine andere Ebene zu bringen.

00:12:23: Könnte man sagen, dass es auch ein Ziel der Restorative Justice ist, den Täter auch mehr

00:12:29: als Menschen zu betrachten und weniger nur als Täter*innen?

00:12:33: Das ist auf jeden Fall so, das ist auf jeden Fall das Ziel der Restorative Justice und

00:12:38: das ist das, was eben meiner Erfahrung nach in den Verfahren auch sehr, sehr oft passiert.

00:12:43: Das ist genau das, was passiert und was den Geschädigten, den Betroffenen von Straftaten

00:12:50: dann oft auch unglaublich hilft in ihrem eigenen Verstehensprozess, in ihrem eigenen Heilungsprozess

00:12:56: zu erkennen, dass sie da kein Monster vor sich haben, sondern ein Menschen aus Fleisch und

00:13:02: Blut und das macht es oft leichter auch mit der Angst umzugehen, dass es wieder passiert.

00:13:10: Wir haben bisher auf eine recht hohen Flughöhe darüber gesprochen, was Restorative Justice

00:13:17: ist. Die haben aber auch erwähnt, sie hatten bereits in der Praxis damit zahlreiche Berührungspunkte.

00:13:23: Können Sie uns etwas mehr darüber erzählen, was sind denn die genauen Methoden, die angewandt

00:13:28: werden, die Praxisbeispiele für Restorative Justice, welche Personen sind daran beteiligt

00:13:35: und welche Funktionen nehmen diese Personen ein? Sind da Täter*innen, Opfer oder auch die

00:13:42: größere Gesellschaft irgendwie noch involviert?

00:13:44: Ja, die Frage kann man nur beantworten, je nach der Form des Verfahrens, das gewählt

00:13:52: wird im Rahmen der Restorative Justice und da gibt es ganz unterschiedliche Möglichkeiten,

00:13:57: ganz unterschiedliche Formen. Worauf ich mich jetzt in meiner Erzählung bisher am stärksten

00:14:03: bezogen habe, das ist der sogenannte Täter*in-Opfer-Ausgleich oder die Mediation im engeren Sinne, wo die Person,

00:14:11: die die Tat gegangen hat und die Person, die durch die Tat geschädigt wurde, miteinander

00:14:16: in Kontakt gebracht werden, ein Gespräch zwischen beiden moderiert wird, gut vorbereitet wird,

00:14:22: durch Vorgespräche und sich dann eben die beiden treffen und miteinander über die relevanten

00:14:29: Themen sich austauschen. Die Methode, die da verwendet wird seitens der Moderation,

00:14:34: ist die Methode der Mediation. Die Mediation ist ja eigentlich eine Methode, wie man eben

00:14:39: in einer Konfliktsituation miteinander redet. Und da gibt es ganz verschiedene Taktiken,

00:14:45: wie man das macht, wie man versucht miteinander zu kommunizieren, ohne dass neue Schäden

00:14:50: entstehen. Zum Beispiel, das ist das, was wir in der Gesellschaft ja schon an vielen

00:14:55: Stellen auch schon gelernt haben, dass es eben gut ist, wenn man sich verständigen will,

00:15:00: dass man nicht mit neuen Vorwürfen anfängt, dass man von sich selber spricht, dass man

00:15:05: sich eben gegenseitig nicht beleidigt. Und es gibt auch ganz technische Möglichkeiten,

00:15:11: zum Beispiel mit Sitzordnungen zusammenhängen, dass man dann zu Beginn des Gesprächs etwa

00:15:16: die Sitzordnung so anrichtet, dass die betroffenen Personen eher auf den Mediator ausgerichtet

00:15:21: sind und im Laufe des Gesprächs sich eher einander zuwenden, um auch das, was wir hoffen,

00:15:28: was passiert, eben dieses sich miteinander wieder verständigen können, auch dadurch

00:15:32: zu unterstützen. Eine klassische Form der Restorative Justice, in der, denke ich so, alle Prinzipien

00:15:40: Restorative Justice gut beachtet werden, das sind sogenannte Kreisverfahren. Das sind Verfahren,

00:15:48: die neben dem konkreten Tatverantwortlichen und neben dem konkreten Tatgeschädigten oder

00:15:57: der getatgeschädigten, zum Beispiel auch Angehörige dabei sein können oder auch Vertreter*innen

00:16:03: der weiteren Gesellschaft, zum Beispiel auch Polizist*innen oder auch Vertreter*innen

00:16:09: der Justiz könnten dabei sein oder Menschen, die in der Gemeinde Verantwortlichkeit haben

00:16:15: und man in einem weiteren Kreis über diese Straftat und die Folgen, die das auf unterschiedlichen

00:16:23: Ebenen hatte, reden kann und auch über die Bedürfnisse, die die unterschiedlichen Menschen

00:16:29: haben, damit diese Straftat wieder gut gemacht wird. Und eine dritte Form sind Circles, in

00:16:37: denen es gar nicht darum geht, konkrete Täter*innen und konkrete Opfer miteinander in einen Kreis

00:16:45: zusammenzubringen, sondern Opfer von Straftaten mit Täter*innen von Straftaten zusammengebracht

00:16:54: werden, zum Beispiel auch mit Straftaten der gleichen Kategorie, zum Beispiel Raub, um

00:17:00: dann eben Täter*innen, Perspektiven und Opfer, Perspektiven miteinander austauschen zu können

00:17:06: und alles sagen zu können, was einem da auf dem Herzen liegt.

00:17:10: Sind diese Verfahren vertraulich oder gibt es da auch eine Öffentlichkeitsbeteiligung,

00:17:16: wenn man ja bedenkt, dass auch die Öffentlichkeit dann Interesse an eine Mediation im weiteren

00:17:22: Sinne hat?

00:17:23: Die Verfahren an sich, dass was gesprochen wird, ist streng vertraulich. Das ist ein

00:17:27: wichtiges Prinzip der Restorative Justice, dass eben das, was in diesen Verfahren gesprochen

00:17:32: wird, nicht nach außen drängt und ich denke, dass es auch eine ganz wichtige Voraussetzung

00:17:36: dafür, dass Menschen sich wirklich öffnen können, dass sie eben wirklich einen sicheren

00:17:41: Raum bekommen, wenn sie über ihr Innerstes erzählen und das ist ja genau das Ziel dieser

00:17:46: Restorative Justice Verfahren, dass wir eben wegkommen von unseren Masken, mit denen wir

00:17:50: im Alltag eigentlich unterwegs sind, weil wir denken, wir müssen uns schützen und gerade

00:17:54: eben im Kontext von Strafverfahren wegkommen und hinkommen, so dem uns wirklich als Menschen

00:18:02: zu begegnen und wirklich ehrlich über das zu reden, was uns betrifft und dazu braucht

00:18:07: das wirklich diesen sehr sicheren Raum.

00:18:10: Wir haben bereits über die Freiwilligkeit aus Prinzip der Restorative Justice und auch

00:18:16: auch über die Vertraulichkeit gesprochen, welche weiteren Prinzipien könnten Sie noch

00:18:22: etwas herauskristallisieren, die Restorative Justice Verfahren kennzeichnen?

00:18:27: Die Fachlichkeit der Person, die die Verfahren moderiert, das ist ein ganz wichtiges Prinzip,

00:18:36: dass die Menschen, die dafür verantwortlich sind, eben genau diesen sicheren Raum zu halten,

00:18:42: dass die gut ausgebildet sind, dass die auch gut achten können, darauf wann Dinge in eine

00:18:50: falsche Richtung gehen, die auch geschult sind, wir nennen das heute Trauma orientiert,

00:18:55: die auch geschult sind, dass sie eben auch merken, gerade wenn Geschädigte von Straftaten

00:18:59: vielleicht in etwas abrutschen, was nicht gut ist.

00:19:02: Die Vorbereitung der Verfahren spielt damit zusammen, also man sollte, bevor man Menschen

00:19:09: zusammenbringt, die über Straftaten miteinander verbunden sind, sollte man wirklich alle

00:19:16: gut vorbereiten, also man sollte sowohl die Opfer sehr gut vorbereiten, man sollte sehr

00:19:20: gut auch eben wissen, wo sind diese gefährlichen Punkte, wo die Moderation aufpassen muss,

00:19:27: dass es nicht abrutscht und auch auf der Täter-Innenseite gut informieren, worum es eigentlich geht.

00:19:34: Und das ist so nach meinem Verständnis auch die halbe Miete.

00:19:38: Ansonsten gibt es nach den Prinzipien des Europarats auch die Empfehlung, dass Restorative Justice

00:19:47: immer möglich sein soll, immer möglich sein soll in allen Stadien des Verfahrens, möglich

00:19:51: sein soll und auch nicht auf bestimmte Straftaten begrenzt sein soll.

00:19:55: Das wäre direkt meine nächste Frage gewesen eigentlich.

00:19:59: Ist Restorative Justice denn wirklich für jedes Vergehen und jedes Verbrechen anwendbar?

00:20:04: Gibt es da Einschränkungen?

00:20:05: Sollte man auf leichte Taten begrenzen?

00:20:08: Generell gibt es für diese Idee, der Restorative Justice überhaupt keine Einschränkungen

00:20:14: auf Straftaten und auch nicht auf die Schwere von Straftaten.

00:20:17: Und in der Praxis ist es anders.

00:20:21: Also wir untersuchen ja die Anwendung von Restorative Justice in den Ländern des Europarats aktuell

00:20:28: und in der Praxis ist es anders, dass häufig bestimmte Straftaten ausgeschlossen sind

00:20:35: und häufig ist es so, in manchen Ländern ist es so, dass gerade die schwereren Straftaten

00:20:40: sind.

00:20:41: Und das widerspricht dem Prinzip von Restorative Justice, weil eine Gefahr von Restorative

00:20:46: Justice ist, dass immer dann, wenn sie auch Alternativen haben zum Strafrecht, diese noch

00:20:51: zusätzlich eingesetzt werden und dann ein sogenannter Net-Weidening-Effekt eintritt.

00:20:57: Das bedeutet, dass man eben mehr macht als vorher nur weil man es kann, aber nicht,

00:21:02: weil es unbedingt notwendig ist und Sie sind öffentlich Rechtlerinnen.

00:21:06: Insofern wissen Sie, dass da der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, um es ja eigentlich davor bewahren

00:21:10: soll, so etwas zu tun.

00:21:12: Und deswegen ist es ein Grundsatz der Restorative Justice, dass eigentlich bei leichten Straftaten,

00:21:19: in denen das Bedürfnis nicht wirklich besteht, nach diesem Austausch, man die Restorative

00:21:24: Justice eher nicht anwenden soll, um der Gefahr des Net-Weidenings entgegenzuwirken.

00:21:28: In manchen Ländern ist es so, dass Fälle häuslicher Gewalt ausgeklammert sind aus

00:21:36: dem Katalog der Straftaten, auf die man Restorative Justice anwenden kann.

00:21:40: Und in manchen Ländern ist es so, dass Straftaten häuslicher Gewalt gerade der Anwendungspreis

00:21:47: sind für Restorative Justice.

00:21:49: Also da entdecken wir gerade Unterschiede in Europa, die sehr interessant sind.

00:21:54: Aber grundsätzlich ist die Antwort, dass sich jede Straftat eignet und grundsätzlich ist

00:22:00: meine Antwort auch, dass immer dann, wenn Personen, die von Straftaten betroffen sind

00:22:04: auf der einen oder anderen Seite, sich diesen Austausch wünschen, dass es schön wäre,

00:22:10: wenn wir den ermöglichen könnten.

00:22:11: Das ist noch interessant.

00:22:14: Also jetzt gerade das Beispiel der häuslichen Gewalt oder besonders schwere Verbrechen.

00:22:19: Was ist da der Hintergrund oder das Motiv, dass man da die Restorative Justice ausklammert?

00:22:26: Ist es ein Schutzbedürfnis, dass man da anstrebt und falls ja, wird dem nicht bereits durch

00:22:33: das Kriterium der Freiwilligkeit genüge getan?

00:22:36: Das ist eine sehr gute Frage und genauso vermute ich es.

00:22:41: Ich vermute es auch in der Diskussion, die wir auch in der Schweiz führen.

00:22:46: Vermute ich, dass die Idee dahinter ist, dass insbesondere Frauen als Opfer von häuslicher

00:22:52: Gewalt geschützt werden müssen, davor, dass es dann ein Verfahren gibt, in denen

00:22:57: ihnen suggeriert wird, danach ist dann alles gut und in denen sie vielleicht auch überredet

00:23:04: werden könnten, an ihnen teilzunehmen, damit hinterher die Strafe gemildert werden könnte

00:23:10: für den Täter.

00:23:11: Es gibt einen kriminologischen Hintergrund auch dafür.

00:23:14: Das ist das sogenannte Wissen um den Circle of Violence, der so funktioniert, dass gerade

00:23:19: nach Straftaten häuslicher Gewalt verschiedene Phasen erkennen können, nachdem es zu einem

00:23:24: Fall häuslicher Gewalt gekommen ist.

00:23:26: Kommt es dann erst mal eben auch zu einem erschrecken häufig auf der Täterseite, verbunden

00:23:33: mit einem Versöhnungsprozess, indem er sich entschuldigt, indem er sagt, dass er alles

00:23:37: tut, damit es wieder gut wird.

00:23:39: Und wenn dann die Personen wieder zusammenkommen und dann zusammen weiterleben, ist es dann

00:23:45: häufig so, dass sich dann doch wieder das alte Muster aufstaut und dazu führt, dass

00:23:49: sich das so wieder erneut in häuslicher Gewalt entleht.

00:23:52: Und diesen Zirkul zu durchbrechen ist aus Sicht der Opfer hier für Stellen, die eben

00:23:58: insbesondere Frauen, es gibt auch Männer, die betroffen sind von häuslicher Gewalt,

00:24:02: aber insbesondere Gezieher und Frauen, die geschützt werden durch diese Angebote, denen

00:24:07: ein ganz großes Anliegen diesen Circle of Violence zu durchbrechen, zu Recht.

00:24:11: Und ich glaube, es besteht die Befürchtung, dass man durch eine Teilnahme an Restorative

00:24:17: Justice Prozessen zwar diese Versöhnungsphase unterstützt, aber dieses Muster nicht aufbricht,

00:24:24: das dann hinterher wieder zu erneuter häuslicher Gewalt führt.

00:24:27: Ich sehe das anders.

00:24:30: Ich habe sehr wohl die Hoffnung, dass in einem Restorative Justice Verfahren geschehen kann,

00:24:37: zu erkennen, worauf dieses Muster basiert und wie man dieses Muster durchbrechen kann.

00:24:42: Also ich sehe das optimistischer.

00:24:44: Vielleicht eben auch durch diese Praxiserfahrung, die ich habe, wo ich meine wirklich gesehen

00:24:49: zu haben, dass auch die Täter*innen sich in diesen Verfahren nicht immer, aber sehr

00:24:55: oft, doch sehr öffnen und sehr oft sehr gut reflektieren und sehr oft Dinge erkennen

00:25:00: auch über sich.

00:25:01: Insofern habe ich persönlich die Hoffnung, dass es anders ist und offenbar gibt es auch

00:25:07: in anderen Ländern in Europa die Erfahrung, dass es anders ist.

00:25:12: Gibt es denn gerade in den Ländern, die Sie im Moment untersuchen, gibt es da Erfolgsbeispiele,

00:25:18: sage ich jetzt mal Länder oder Verfahren oder Anwendungs-Praktiken von Restorative Justice,

00:25:24: die Sie als besonders beispielhaft, vorteilhaft erachten, solche, wo das weniger gut klappt,

00:25:31: gibt es beispielsweise auch gerade, weil Sie in die Deutsche und die Schweizer Praxis

00:25:36: einen vertieften Blick gewagt haben, gibt es da auch noch mal kannte Unterschiede?

00:25:39: Es ist natürlich die Frage, was bezeichnet man wie und wo als Erfolg?

00:25:45: Also generell würde ich sagen mit Blick auf Europa, dass in Belgien und in den Niederlanden

00:25:51: die Restorative Justice im Strafrecht oder auch über das Strafrecht hinaus sehr stark

00:25:56: ausgebaut ist und wenn wir von Erfolgsländern sprechen, würde ich diese beiden Länder auch

00:26:03: nennen.

00:26:04: Was beide Länder eint, ist, dass es eine sehr starke Infrastruktur gibt für Restorative

00:26:09: Justice.

00:26:10: Also es gibt sehr viele Stellen, es gibt eine gute Ausstattung, eine gute Finanzierung

00:26:15: für Stellen, die Restorative Justice machen, wo man sich hinwenden kann, das wird gut

00:26:20: ausgestattet mit Geldern, es bekommt Anerkennung, es ist ja anerkannt in dem Land, dass das

00:26:26: eine gute Begleitung, alternative Ergänzung ist zum Strafrecht.

00:26:31: In Deutschland ist es zum Beispiel so, dass Restorative Justice im Gesetz sehr stark ausgebaut

00:26:37: ist.

00:26:38: In Deutschland ist Restorative Justice tatsächlich bei jeder Straftat möglich und in jeder

00:26:43: Stufe des Verfahrens ist Restorative Justice möglich.

00:26:46: Die Anwendungspraxis zeigt aber, dass es doch relativ selten genutzt wird.

00:26:52: Also wenn wir uns die neueste Statistik angucken, dann sind es so um die 30.000 Fälle von Restorative

00:26:58: Justice pro Jahr, was erstmal für uns als Schweiz natürlich total viel klingt, aber

00:27:02: bei 5 Millionen Verfahren in der polizeilichen Kriminalstatistik ist es dann natürlich dann

00:27:07: trotzdem nur ein Bruchteil.

00:27:09: Wir versuchen das gerade zu ermitteln, eben bei den europäischen Ländern, die an unserer

00:27:14: Studie zur Zeit teilnehmen und es scheint doch ein sehr starkes Muster zu sein, dass

00:27:18: auch da, wo Restorative Justice auf gesetzlicher Ebene gut ausgebaut ist, die Anwendungspraxis

00:27:24: weit hinter diesen Möglichkeiten zurück bleibt.

00:27:27: Und die Anwendungszahlen dort, wo sie überhaupt erfasst sind, das ist immer im strafrechtlichen

00:27:32: Bereich auch ein großes Problem, was wird eigentlich registriert, was wird erfasst,

00:27:37: wo es erfasst wird.

00:27:38: Wir sehen können, dass es immer nur ein Bruchteil, eben mit Ausnahme Belgien und den Niederlanden.

00:27:44: Wie kann man sich das erklären?

00:27:46: Liegt das an fehlender Akzeptanz?

00:27:49: Liegt das an fehlender Bekanntheit?

00:27:52: Liegt es an fehlender Bereitschaft der Behörden, diese Praktiken dann auch wirklich anzuwenden?

00:27:57: Können Sie das bereits uns erste Erkenntnisse liefern?

00:28:01: Meine These ist, dass es vor allen Dingen an fehlenden Ressourcen liegt, also dass in

00:28:07: den Ländern, wo keine Ressourcen vorhanden sind, eine Infrastruktur aufzubauen, um Restorative

00:28:13: Justice durchzuführen, dass da die Restorative Justice in der Praxis dann auch eine geringe

00:28:18: Rolle spielt.

00:28:19: Das ist auf jeden Fall eine These, die sich für mich auch aufgrund dessen, was wir sehen

00:28:23: können, auch stark erhärtet.

00:28:26: Und natürlich kann man sich dann aber fragen, was ist der Hintergrund dafür, dass es nicht

00:28:30: so viele Ressourcen gibt.

00:28:31: Und teilweise ist sicherlich der Grund, dass es sich um Länder handelt, die auch im Justizsystem,

00:28:38: was ja in der Regel vom Budget immer noch ein relativ gut ausgestattetes System ist,

00:28:44: im Vergleich zum Beispiel zum Sozialsystem, dass es auch im Justizsystem in manchen Ländern

00:28:48: einfach wenig Geld gibt, das zur Verfügung steht und das eben auch genutzt werden kann

00:28:52: um Alternativen zu den vorhandenen Justizvorzugsanstalten oder den vorhandenen Justizmöglichkeiten

00:28:59: auszubauen.

00:29:00: Und das andere sind die Gründe, die Sie gerade genannt haben.

00:29:02: Eine Reserviertheit gegenüber diesen Ansätzen, die häufig auch falsch verstanden werden,

00:29:10: glaube ich, die häufig gesehen werden als ein nettes High-Tie-Tie zwischen Beteiligten

00:29:17: an Straftaten, die häufig, wo häufig vermutet wird, dass Täter*innen sich durch diese Verfahren

00:29:24: leicht aus der Verantwortung stehlen können, was sie auch schon angesprochen haben, man

00:29:29: häufig befüchtigt, dass man dem Opferschutz damit keinen Gefallen tut.

00:29:33: Und das sind alles Dinge, die ich meine mit Blick auf die Erfahrung von Restorative Justice

00:29:39: kann man das wirklich gut ausräumen.

00:29:41: Also für mich bedeutet eine Teilnahme an einem Restorative Justice Verfahren für die Täter*in

00:29:47: keine Fall ein herausstehlen aus der Verantwortung, sondern ich glaube, dass man sich nirgends seiner

00:29:53: Verantwortlichkeit so stark stellen muss wie in diesem Verfahren, im direkten Kontakt

00:29:59: mit den Menschen, denen man etwas angetan hat oder mit Menschen, denen etwas angetan wurde

00:30:04: durch Straftaten.

00:30:05: Und ein ganz großer Grund ist, glaube ich, auch die Bekanntheit.

00:30:09: Also ich glaube, dass in vielen Ländern viele Menschen gar nicht wissen, dass es solche

00:30:16: Möglichkeiten gibt.

00:30:17: Deshalb habe ich auch sehr froh bin, dass wir auch heute darüber sprechen zum Beispiel.

00:30:20: Das war zumindest auch immer was in Deutschland, was ich gedacht habe, dass es einfach so viele

00:30:27: Leute gar nicht wissen, dass es auf jeder Stufe des Verfahrens theoretisch die Möglichkeit

00:30:32: gibt.

00:30:33: Und dann ist das natürlich auch wieder verbunden mit den Ressourcen und mit der Finanzierung.

00:30:38: Also natürlich, wenn sie ein Land haben, wie zum Beispiel in den Niederlanden, wo in solchen

00:30:43: Fällen klar ist, dass der Staat auch die Kosten übernimmt für die Verfahren, dann ist das

00:30:47: natürlich eine viel niedrigere Hürde, als wenn ich als Opfer einer Straftat zwar theoretisch

00:30:52: weiß, dass ich einen Anspruch oder dass es die Möglichkeit gibt, ein administrative

00:30:55: Justice Verfahren durchzuführen, aber es ist nicht klar, wer das bezahlt.

00:30:59: Und ich muss das vielleicht am Ende selbst bezahlen, zusätzlich zu all den Schäden,

00:31:03: die ich durch eine Straftat habe.

00:31:05: Das ist natürlich dann vielleicht nicht gerade förderlich.

00:31:08: Spielen da auch soziokulturelle Faktoren mit ihnen eine Rolle?

00:31:13: Bei der Röschische auf das heutige Interview sind wir auch darauf gestoßen, dass restorative

00:31:18: justice historisch, speziell aus der Praxis von indigenous communities auch herauswuchs.

00:31:25: Ist es da in diesen, sage ich jetzt mal in Ländern, wo gerade die indigative Bevölkerung

00:31:31: etwas etabliert ist?

00:31:32: Wird es da öfter praktiziert als jetzt in anderen Staaten?

00:31:36: Ja, wenn wir über Europa hinausgehen, dann ist das auf jeden Fall absolut richtig.

00:31:41: In Neuseeland im Jugendstrafrecht zum Beispiel spielt restorative justice eine ganz große

00:31:46: Rolle.

00:31:47: Ich möchte in dem Zusammenhang sagen, dass wir nicht romantisieren sollten, dass restorative

00:31:52: justice Verfahren sind, die wir jetzt von indigenen Völkern übernommen haben und ausgebaut haben.

00:31:57: Ich weiß aus der indigenen Community, dass das auch uns ein wenig vorgeworfen wird, wenn

00:32:04: wir solche Narrative bedienen, weil sie sagen, dass was wir machen, das ist was anderes,

00:32:09: als das, was ihr jetzt mit restorative justice macht, weil bei uns auch der spirituelle Aspekt

00:32:13: eine ganz große Rolle spielt, der eben so wie wir ja heute restorative justice durchführen,

00:32:18: vielleicht bei manchen auch im Hintergrund eine Rolle spielt, aber ja nicht offiziell.

00:32:22: Dafür möchte ich auf jeden Fall warnen, dass wir da so eine kulturelle Einregnung denken,

00:32:27: dass wir jetzt indigene gewachsene Prozesse durchführen und uns da jetzt ganz nah fühlen

00:32:34: auch der indigene Community.

00:32:36: Was in Neuseeland aber geschehen ist, das ist, dass man gemerkt hat, dass man an den

00:32:41: Strafstatistiken gesehen hat, dass die Maori Jugendlichen sehr, sehr stark überrepräsentiert

00:32:48: sind im System und man auch gemerkt hat, dass man mit den klassischen Strafverfahren diese

00:32:57: Gruppe vielleicht nicht gut erreicht, weil natürlich eben in klassischen Strafverfahren

00:33:03: auch Kommunikationsfähigkeiten eine große Rolle spielt, die Sprache eine große Rolle

00:33:08: spielt, wie man sich in der Gesellschaft auf Augenhöhe mit anderen oder eben nicht auf

00:33:13: Augenhöhe begegnet, das ist vielleicht genau das, was auch in diesem Fall eine Rolle spielt,

00:33:18: dass man bestimmte Hierarchien einhalten muss, dass bestimmte Codes gibt, die man vielleicht

00:33:23: nicht unbedingt kennt, wenn man so nicht groß geworden ist und dass das dann eben zu

00:33:27: Benachteiligungen führt, auch eben dieser Gruppen.

00:33:29: Und deshalb hat man sich bemüht, Restorative Justice Elemente einzufügen, um diese Gruppen

00:33:36: auch zu unterstützen und auch Kommunikationswege zu eröffnen, die vertrauter sind.

00:33:41: Und das hat dann dazu geführt, dass die Erfolgs-Stories, die man damit schreiben konnte, die guten

00:33:48: Erfahrungen, die man damit gemacht hat, dass man Restorative Justice regelmäßig anwendet

00:33:54: und dass das fast das normale Strafverfahren im Jugendstrafrecht in New Zealand verdrängt

00:34:00: hat, also dass quasi immer Restorative Justice Verfahren vorgeschaltet werden und nur dann,

00:34:05: wenn man da auch wirklich keine Lösungen finden kann, wenn man merkt darüber hinaus,

00:34:09: bestehen noch Bedürfnisse, die ja nicht abgedeckt werden können, kommt es zu einem klassischen

00:34:13: Strafverfahren wie bei uns.

00:34:15: Wir haben bereits über die Verantwortung der Täter und Täterinnen gesprochen.

00:34:21: Klassisch gesehen, das Strafrecht bestraft, Restorative Justice soll aber wiederherstellen

00:34:27: oder soziale Beziehungen reparieren, das zumindest zu gerieren, die Begriffe auf den ersten Blick.

00:34:33: Sind Sie denn wirklich als Gegenteile zu verstehen oder haben Restorative Justice und das Strafrecht

00:34:39: unabhängig von einander Bestand?

00:34:43: Darauf gibt es verschiedene Antworten.

00:34:45: Das ist umstritten, wie wir so schön sagen in unserem Youth-Studium.

00:34:50: Wie man antwortet, das kommt darauf an, ob man Restorative Justice als Alternative zur

00:34:56: Strafe versteht oder als Ergänzung zur Strafe.

00:34:59: Ich gehöre zu denjenigen, die Restorative Justice als Ergänzung zum Strafrecht begreifen.

00:35:07: Ursprünglich groß geworden in unserem heutigen Europa ist Restorative Justice aber durch

00:35:14: eine Bewegung, die ganz stark gesagt hat, Restorative Justice soll das Strafrecht ersetzen.

00:35:19: Nils Christi, ein Kriminaloge aus Skandinavien, hat den Abolitionismus sehr gefördert, hat

00:35:28: gesagt, wir sehen, in den 1970er Jahren, wir sehen, das Strafrecht ist gescheitert, wir

00:35:33: schaffen es nicht durch das Strafrecht, unsere Gesellschaft zu befriedigen, wir brauchen

00:35:37: andere Lösungen, das Strafrecht hat den Menschen die persönlichen, die emotionalen Konflikte

00:35:46: aus der Hand genommen und versucht das für die Menschen zu lösen, das funktioniert nicht,

00:35:51: wir sollen den Menschen die Verantwortung für ihre Konflikte wieder an die Hand geben

00:35:55: und das machen wir am besten durch Restorative Justice Verfahren.

00:35:58: Ich sehe das nicht so elementar, ich glaube, dass Strafrecht und Restorative Justice auch

00:36:08: unterschiedliche Bedürfnisse adressieren und dass wir gucken sollten, dass beides möglich

00:36:16: ist und dass wir es nicht gegeneinander ausspielen.

00:36:20: Wenn wir gleich bei diesem Overlap sind von Restorative Justice und Strafrecht oder eben

00:36:27: nicht, hat den Restorative Justice, neben der Restoration, da sage ich mal wieder gutmachen,

00:36:35: in weiteren Sinn auch weitere Funktionen, zum Beispiel hat sie auch einen präventiven

00:36:39: Effekt, hat sie zu einem Teil auch eine retributive Wirkung, gibt es da auch diese Aspekte der Restorative

00:36:47: Justice oder empirische Forschung dazu?

00:36:52: Es gibt empirische Forschung zu Restorative Justice und wenn sie das ansprechen, was wir

00:36:58: wissen darüber, wie Restorative Justice wirkt auf Rückfallraten, dann können wir sagen

00:37:08: mit allem, was wir wissen und dazu komme ich gleich, das muss ich leider ein bisschen

00:37:12: ausführen, wir können auf jeden Fall sagen, dass wir keine Anzeichen dafür haben, dass

00:37:17: die Teilnahme an Restorative Justice Verfahren dazu führt, dass Menschen stärker rückfällig

00:37:21: werden als vorher.

00:37:22: Und wir haben einige Tendenzen, dass Restorative Justice sich positiv auf Rückfallfreiheit

00:37:30: auswirkt, da haben wir Tendenzen, aber die Problematik ist, dass wir mit sozialwissenschaftlichen

00:37:38: Methoden das nicht lupenrei nachweisen können.

00:37:43: Damit wir das könnten, müssten wir experimentelle Kurs-

00:37:46: und Trollgruppen Designs bilden.

00:37:48: Das heißt, wir müssten eben zufällig Menschen zuweisen zu einer Gruppe, die an Restorative

00:37:53: Justice Verfahren teilnimmt und einer Gruppe, die das nicht tun und müssten dann die Wirkungen

00:37:57: untersuchen und müssten auch ausschließen können, dass es andere Faktoren außer eben

00:38:03: dieser Restorative Justice Teilnahme sind, die auf den Rückfall wirken oder eben auch

00:38:09: nicht wirken.

00:38:10: Und das können wir methodisch nicht.

00:38:11: Das können wir methodisch nicht.

00:38:12: Wir haben einzelne Studien, die versuchen da auch quasi experimentell, also vergleichbare

00:38:19: Versuchsgruppen irgendwie zu bilden, wo man so viel wie möglich ausschließt, zum Beispiel

00:38:25: Faktoren der Zuweisung oder oder und die zu dem Ergebnis kommen, dass wir eben sagen können,

00:38:32: ja, da haben wir positive Tendenzen, aber wie gesagt, der lupenreinen Nachweis können

00:38:38: wir nicht führen.

00:38:39: Was wir haben im Bereich der Restorative Justice, wir haben sehr viel qualitative Forschung.

00:38:44: Also wir haben sehr viele Studien, die Interviews führen zu Veränderungen durch diese Verfahren

00:38:50: bei Täter*innen, bei Opfern, die diese Verfahren beobachten und die sind durchweg positiv.

00:38:58: Das muss man sagen.

00:38:59: Also es gibt es auch, das Opfer nach der Teilnahme an Restorative Justice Verfahren mit bestimmten

00:39:05: Dingen ihre Unzufriedenheit äußern.

00:39:08: Das kommt schon auch vor.

00:39:10: Und auch wenn wir das versuchen, zahlenmäßig auszudrücken, können wir eben sagen, ganz

00:39:14: überwiegend sind sowohl Rafttatbetroffene als eben Straftat Verantwortliche nach der

00:39:21: Teilnahme an Restorative Justice zufrieden und sagen, dass ihnen das was gebracht hat.

00:39:27: Also dass sie das weitergebracht hat und dass ihnen das geholfen hat mit den Folgen

00:39:32: der Straftat besser zurechtzukommen.

00:39:34: Schon nur mal diese Fragen etwas ausformulieren zu können und vielleicht auch Beantworten

00:39:40: zu erhalten auf beiden Seiten.

00:39:42: Genau.

00:39:43: Und das ist eben das, was Opfer von Straftaten hinterher oft sagen, gerade wenn Restorative

00:39:49: Justice nach schweren Straftaten stattfindet, dass sie wirklich das, worüber wir vorhin

00:39:55: auch schon gesprochen haben, dass sie sagen, sie können eben die Person gegenüber wieder

00:39:59: als ein Mensch wahrnehmen und nicht als ein Monster, was sehr viel von diesen drängenden,

00:40:04: bohrenden Fragen, wie konnte das passieren, wie kann Mensch mir sowas antun, dass sich

00:40:09: dann doch verändern kann.

00:40:11: eben Restorative Justice ist kein Allheilmittel und Restorative Justice kann, glaube ich, auch

00:40:18: bei bestimmten Schäden auch wirklich nur ein Element sein und wir müssen auch Opfer

00:40:23: von Straftaten auf allen anderen Ebenen gut unterstützen und ihnen der Heilungsmöglichkeiten

00:40:28: an die Hand geben.

00:40:29: Aber Restorative Justice kann manchmal eben auch der entscheidende Faktor sein, um mit

00:40:35: bestimmten Themen auf bestimmten Ebenen besser mit dem klarzukommen, was einem geschehen

00:40:40: ist.

00:40:41: Ich würde nun gerne ein Tool davon im Schweizer Recht, das genau mit Ihnen anschauen wollen,

00:40:49: und zwar Artikel 53, Stegebe, der regelt die Wiedergutmachung und ist allerdings nur

00:40:54: anwendbar, wenn die Strafe gering ausfallen würde und ein geringes öffentliches Interesse

00:41:01: sowie ein geringes Interesse der geschädigten Person an der Strafverfolgung besteht.

00:41:07: Dann ermöglicht dieser Artikel eben ein Verzicht auf Strafverfolgung und Bestrafung.

00:41:13: Was ist jetzt unter dieser Form der Wiedergutmachung zu verstehen und bestehen da Gemeinsamkeiten

00:41:19: oder auch Unterschiede mit der Restorative Justice?

00:41:22: Es bestehen Gemeinsamkeiten.

00:41:24: Man kann natürlich den Artikel 53 als eine Form der Restorative Justice ausgestalten,

00:41:31: aber darauf kommt es dann eben auch an.

00:41:33: Also ich würde sagen, wir können Artikel 53 die Wiedergutmachung dann als Restorative

00:41:37: Justice bezeichnen, wenn die Prinzipien der Restorative Justice gut eingehalten sind.

00:41:42: Das bedeutet die freiwillige Teilnahme, das bedeutet eben diese vertrauensvolle Atmosphäre,

00:41:49: das bedeutet die Fachlichkeit eines Mediators, einer Mediatorin und das bedeutet, dass die

00:41:56: Beteiligten bestimmen, worum es gehen soll, dass das eben niemand vorgibt.

00:42:01: Hier muss jetzt eine Geltausgleichszahlung geschehen und die muss so und so hoch sein,

00:42:06: sondern dass das eben die Beteiligten miteinander aushandeln, was die richtige Wiedergutmachung

00:42:12: ist.

00:42:13: Und dann ist das ein gutes Instrument und das ist eine gute Möglichkeit und leider,

00:42:18: aber eben sehr eng begrenzt im schweizerischen Strafrecht auf Straftaten, ja, minderer Schwere.

00:42:25: Ist es denn bei 53 Stegebähe genauso, dass eben auch diese Wiedergutmachung zumindest

00:42:33: per Gesetz stattfindet, selbst wenn das Opfer nicht präsent ist, selbst wenn kein Mediator

00:42:39: Mediatorin am Prozess teilnimmt und der Täter, die Täterin quasi einfach eine Wiedergutsahlung

00:42:45: vor meiner Geldzahlung leistet und kann das dann wirklich als restorative Justice noch

00:42:50: benannt werden?

00:42:51: Ich tue mich schwer damit zu sagen, von vorneherein nein, wenn es das ist, was das Interesse

00:43:00: des Opfers ist und wenn es das ist, was auch der Täter, die Täterin gerne leisten möchte,

00:43:06: um den Schaden wieder gut zu machen, dann kann man das auch als restorative Justice begreifen.

00:43:13: Wenn es eben von vorneherein wie quasi schematisch vorgegeben ist, dass man ja wie ein Prozess

00:43:21: generiert, in dem nur mit Briefen hin und her über die Höhe der Summe der Wiedergutmachung

00:43:26: verhandelt wird, dann finde ich das eher schwierig.

00:43:29: Also es kommt darauf an, ja, inwiefern wirklich die Bedürfnisse der Beteiligten adressiert

00:43:35: sind.

00:43:36: Und natürlich ist die materielle Wiedergutmachung auch ein großes Bedürfnis für Opfer von

00:43:41: Straftaten.

00:43:42: Das ist natürlich so, aber eben längst nicht die Einzige.

00:43:46: Und in der Regel und natürlich gerade bei schweren Straftaten auch nicht die größte.

00:43:51: Wir haben bereits darüber gesprochen, dass Artikel 53, Strafgesetzbuch, auch den Verzicht

00:43:59: auf Strafverfolgung und damit ein Hirgend Bestrafung ermöglicht.

00:44:03: Ist es denn bei restorative Justice immer so, dass ein Täter oder eine Täterin automatisch

00:44:09: eine Strafminderung erhält bei Teilnahme an solchen Prozessen?

00:44:13: Da wo restorative justice in das Strafrecht eingebunden ist, ist es in aller Regel so,

00:44:21: dass das eine Kannbestimmung ist, also dass das eine Ermessensbestimmung ist und dass

00:44:27: das in den Händen des Gerichts liegt oder auch der Staatsanwaltschaft, ob beispielsweise

00:44:33: das Verfahren eingestellt werden soll oder ob es zu einer Strafminderung führt.

00:44:38: Meines Erachtens ist das auch richtig so und es sollte keinen Automatismus geben und gleichzeitig

00:44:48: muss es die Möglichkeit geben, wenn wir davon ausgehen, dass die Höhe der Strafe eben ja

00:44:53: auch den Strafzwecken entspricht und da geht es natürlich auch um die Höhe der Strafe in

00:44:59: Verbindung mit dem öffentlichen Interesse an der Bestrafung und das öffentliche Interesse

00:45:05: nach einer erfolgreichen Verständigung zwischen Täter*innen und Opfern, die dazu geführt

00:45:12: haben, dass die Folgen der Straftat bearbeitet werden konnten, führt natürlich auch dazu,

00:45:19: dass das öffentliche Interesse an der Bestrafung sich verringert und das sollte sich dann auch

00:45:24: auswirken in der geringeren Strafe.

00:45:26: Aber ein Automatismus sollte es nicht geben und gibt es soweit ich das sehen kann, auch

00:45:32: nicht.

00:45:33: Jetzt wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann ist 53 Stege Base und ein bisschen eine

00:45:39: enge Anwendungsform von Restorative Justice.

00:45:42: Gibt es denn da noch andere Anwendungsfälle der Restorative Justice in der Schweiz?

00:45:47: Ja, was ich denke, was ein sehr guter Ansatz ist, eine sehr gute Ausprägung von Restorative

00:45:55: Justice in der Schweiz sind Kreisverfahren im Justizvollzug, die vom Schweizerischen Forum

00:46:02: für Restorative Justice durchgeführt werden, organisiert werden, konzipiert werden, eben

00:46:09: auch nach einem eigenständigen Konzept, das für die Schweiz angepasst wurde, an ähnliche

00:46:14: Konzepte, ähnliche internationale Konzepte.

00:46:16: Und in diesen Kreisverfahren kommen Gefangene in Justizvollzugsanstalten zusammen mit Opfern

00:46:25: von Straftaten, aber eben nicht mit ihren eigenen Opfern, sondern mit Opfern ähnlicher

00:46:31: Straftaten.

00:46:32: Und nach einem bestimmten Programm werden verschiedene Themen angesprochen, der Prozess

00:46:37: ist so gestaltet, dass man gewissermaßen auch immer mehr in die Tiefe geht und dass

00:46:42: jeder auch die Möglichkeiten bekommt, alles auszusprechen, was es auszusprechen gibt.

00:46:48: Und ich glaube, dass diese Kreisverfahren vor dem Hintergrund der Freiwilligkeit und vor

00:46:54: dem Hintergrund der Bedürfnisse der Beteiligten ein sehr gutes Beispiel sind.

00:47:00: Natürlich könnte man sagen, wenn dieses Verfahren so ausgestaltet wird, dass Gefangene daran

00:47:07: teilnehmen müssen, um Hafterleichterungen zu bekommen oder um Lockerungen zu bekommen

00:47:11: oder um vorzeitig entlassen zu werden, dann hätten wir wieder eine Verstrickung mit dem

00:47:17: Strafverfahren, die die Freiwilligkeit berühren würde.

00:47:20: Das wäre nicht im Sinne der Restorative Justice, aber wenn man und so wird es getan in der

00:47:26: Schweiz darauf achtet, dass es da keine wirklichen Verquickungen geben kann, dann ist das, meine

00:47:32: ich, ein sehr guter Anwendungsbereich.

00:47:34: Ist denn die Idee dahinter, dass auf Täter*innen Seite die Motive für eine bestimmte Tat dahinter

00:47:42: ähnlich sind, aber auch auf Seiten der Geschädigten da die Erfahrungen ähnlich sind, damit diese

00:47:49: Austausche und da auch eine Restoration stattfinden kann?

00:47:52: Obwohl jetzt der konkrete Täter*innen und vielleicht das konkrete Opfer in diesem Fall jetzt nicht

00:47:58: präsent sind?

00:47:59: Genau, dabei kann es natürlich um Motive gehen, aber es kann auch um bestimmte ähnliche

00:48:04: Tat-Situationen gehen.

00:48:06: Zum Beispiel in Raubsituationen oder bei Erpressungssituationen, wenn dann das Opfer berichtet von der ganz großen

00:48:17: Angst, die auch um die Familienangehörigen, die auch im gleichen Raum waren, entstanden

00:48:22: sind und dass das die größte Angst war und vielleicht die Tatperson auch bei einer anderen

00:48:28: Familie in einer ähnlichen Situation war und es geht darum, die Angst jemandem gegenüber

00:48:33: aussprechen zu können, der so eine Angst verursacht hat und zu merken, dass das ankommt, dass

00:48:39: das gegenüber das sehen kann, dass das eine füchterliche Situation war.

00:48:43: Und wenn dann vielleicht auf der anderen Seite die Tatperson erklärt, okay, ich war in einem

00:48:47: ganz anderen Film, aber ich hätte niemals dem Familienangehörigen der Ehefrau oder

00:48:52: der Tochter, ich hätte dann niemals etwas angetan, ich wollte das Bedrohungsszenario,

00:48:57: aber ich wollte niemals verletzen.

00:48:58: Das kann in einem Einzelfall dazu führen, dass auf der Opferseite dieses einfach nur

00:49:06: sehen, dass der andere die Angst anerkennt.

00:49:08: Das kann schon was heilen, das kann schon was bewirken.

00:49:12: Ermöglicht es denn auch, dass es eben gerade nicht die konkreten Opfer und die konkreten

00:49:18: Täter*innen sind, auch ein höheres Level an Abstraktion und damit ein besseres Verständnis,

00:49:24: wenn man jetzt nicht seine eigenen Motive und das eigene Opfer, zu dem man vielleicht

00:49:29: bereits eine furbestehende Beziehung hatte, sondern etwas genereller sieht, was es mit

00:49:35: Opfern und Täter*innen machen kann.

00:49:37: Ich glaube, das ist sehr gut so gesagt, das müsste man natürlich auch diejenigen, die

00:49:42: diese Verfahren durchführen in den Justizvollzugsanstalten, das müsste man die direkt mal fragen.

00:49:49: Ich glaube, es ist einerseits das höhere Abstraktionslevel und ich glaube, es ist andererseits

00:49:54: auch die größere Möglichkeit für Ehrlichkeit.

00:49:56: Wenn ich nicht meinem direkten Täter etwas ins Gesicht sagen muss, was ich schrecklich

00:50:02: fand, sondern das einer anderen Person sagen kann, dann ist es vielleicht leichter, weil

00:50:07: wir Menschen sind ja doch im direkten Kontakt häufig doch auch eingeschränkt.

00:50:12: Und wir sind auch sehr höflich und wir sind auch respektvoll und wir wollen uns auch nicht

00:50:16: böse Dinge sagen oder wir wollen sagen, was den anderen vielleicht in eine unangenehme

00:50:20: Situation bringt und vielleicht gelingt uns das leichter, eben wenn wir dann auf so

00:50:25: einem etwas höheren Abstraktionslevel sind und es nicht der Person direkt sagen müssen.

00:50:32: Das kann ich mir gut vorstellen.

00:50:34: Besteht denn im Schweizerischen Strafrecht ein Reformbedarf, um den Anforderungen

00:50:42: der Restorative Justice besser oder überhaupt gerecht werden zu können?

00:50:46: Ja, ich denke schon, ich wäre froh, wenn wir mehr Möglichkeiten hätten, Restorative

00:50:54: Justice in das Strafrecht auch einzubinden.

00:50:56: Und grundsätzlich wäre es nicht unbedingt notwendig, dass wir das im Strafgesetz oder

00:51:02: im Strafverfahrensrecht regeln.

00:51:05: Ich glaube nur, wenn wir es nicht dort regeln, dann die Wahrscheinlichkeit höher, dass die

00:51:10: Anwendungsquoten sehr gering bleiben.

00:51:13: Also wenn wir es nicht in konkrete Verbindung bringen und im Strafrecht oder im Strafverfahrensrecht

00:51:18: zumindest bestätigen, dass an jeder Stelle des Strafverfahrens auch Restorative Justice

00:51:24: begleitend oder alternativ eingesetzt werden kann, dann glaube ich nicht, dass sich die

00:51:29: Praxis sobald verändern wird.

00:51:31: Insofern.

00:51:32: Würde ich das sehr begrüßen, wenn auch wir in das Strafrecht oder in das Strafverfahrensrecht

00:51:38: entsprechenden Normen aufnehmen würden.

00:51:40: Und worüber wir ja noch nicht geredet haben, ein gutes Beispiel in der Schweiz ist, glaube

00:51:46: ich, auch die Mediation im Jugendstrafverfahren.

00:51:49: Auch noch vergleichsweise eingeschränkt die Möglichkeit besteht, Mediationen in Anspruch

00:51:57: zu nehmen oder Mediationen durchzuführen und dann daraufhin das Verfahren auch zu beenden.

00:52:04: Also dann zu sagen, es wirklich ist eine Alternative gewesen in diesem Fall.

00:52:09: Es besteht kein öffentliches Interesse mehr und das Verfahren muss nicht mehr fortgeführt

00:52:14: werden.

00:52:15: Wenn wir bereits beim Jugendstrafrecht sind, welche Bedeutung hatten die Mediationen

00:52:21: im Jugendstrafrecht und warum kommt sie gerade nur dort zum Tragen und auch nicht in anderen

00:52:27: Strafverfahren.

00:52:28: Ich kann mir vorstellen, dass das damit zu tun hat, dass wir im Jugendstrafrecht doch

00:52:35: ein anderes Menschenbild haben von den Täter*innen als im Erwachsenen Strafrecht und dass wir

00:52:43: glauben, dass Jugendliche auch kommunikativen Verfahren eher zugänglich sind oder dass

00:52:50: bei Jugendlichen Straftaten eher möglich ist, dass Täter und Opfer sich verständigen.

00:52:56: Das hat auch eine gute kriminellurgische Grundlage.

00:52:59: Also wir wissen im Jugendstrafrecht, dass es zum einen einfach sehr normal ist, Täter

00:53:05: in einer Straftat zu werden.

00:53:06: Das gehört zum Großwerden eigentlich fast dazu.

00:53:09: Und wir wissen auch, dass der Überschneidungsgrad zwischen Täter*innen und Opfern sehr, sehr

00:53:15: groß ist im Jugendstrafrecht und dass deswegen Erfahrungen auf beiden Seiten häufig vorhanden

00:53:22: sind und aus meiner eigenen Erfahrung mit Mediationen im Jugendstrafverfahren in Deutschland

00:53:27: kann ich auch sagen, dass häufig, wenn es zum Beispiel um Körperverletzungsdelikte

00:53:31: gegen von Jugendlichen aus einer Gemeinde, dass es häufig auch so war, wer in meinem

00:53:37: Verfahren der Täter war, war in einem anderen Verfahren auch schon das Opfer in dem gleichen

00:53:42: Personenkreis.

00:53:43: Da hat man sicherlich auch eine gute kriminellurgische Grundlage für diese Annahme.

00:53:49: Die Idee der Restorative Justice passt auch stark zu den Zielen des Jugendstrafrechts,

00:53:55: in denen es um Schutz und Erziehung der Jugendlichen geht.

00:53:58: Das ist, denke ich mal, der Grund dafür, dass es im Jugendstrafrecht generell anders

00:54:03: ausgebaut ist, weiter ausgebaut ist.

00:54:05: Wie stark es tatsächlich angewendet wird, hängt auch hier wieder mit der Institutionalisierung

00:54:11: zusammen.

00:54:12: Wir haben gesehen, dass in den Städten, wo Mediationsstellen eingerichtet sind, auch

00:54:18: im Jugendstrafrecht es dann auch mehr Fälle gibt und mehr Anwendungsfälle, mehr Praxis

00:54:23: gibt als in Gemeinden, wo es keine festen Institutionen gibt, sondern Mediationen dann

00:54:30: wie eingekauft werden müssen.

00:54:32: Wenn wir schon bei dieser Erziehung sind, hat er nicht auch ein Strafverfahren oder

00:54:39: wenn es dann zu einer Verurteilung kommt, nicht auch der Justizvollzug auch einen gewissen

00:54:45: Erziehungsanspruch.

00:54:46: Also, dass Täter nicht auch gebessert in Anführungs- und Schlusszeichen werden sollen,

00:54:53: um dann nicht mehr Täterinnen zu werden.

00:54:55: Ist das nicht auch ein bisschen Erziehung, die wir einfach nur bei Jugendlichen auch

00:54:59: so aussprechen?

00:55:00: Dass es für mich im Erwachsenen ein Strafrecht und im Justizvollzug für Erwachsene der falsche

00:55:06: Begriff, weil Erziehung unser Recht zu erzielen endet mit dem 18.

00:55:11: Geburtstag.

00:55:12: Und insofern würde ich da mich wehren, den Begriff der Erziehung zu verwenden, der Begriff,

00:55:18: der angemessen ist und der eben das Ziel dann auch des Justizvollzugs ist, ist derjenige

00:55:23: der Resozialisierung.

00:55:25: Und was wir darunter begreifen, ist natürlich Angebote zu machen, Chancen zu vermitteln,

00:55:32: Chancen zu eröffnen, dass Menschen ihr Verhalten ändern können und ihnen der Ausstieg aus

00:55:37: kriminellen Karrieren gelingt.

00:55:39: Das ist für mich Resozialisierung und Restorative Justice kann und sollte da ein Angebot sein,

00:55:45: das in meinen Augen sehr großes Potenzial hat, dass Täter ihr Verhalten reflektieren

00:55:51: können und auf dieser Basis auch verändern können und zudem eben den Opfern von Straftaten

00:55:58: und auch das ist ein Grundsatz unseres Justizvollzugs.

00:56:02: Dass es auch auf die Opferbedürfnisse achten muss, dass es eben auch gewährleistet durch

00:56:06: Restorative Justice.

00:56:08: In diesem Sinne kann ja die Restorative Justice als Entwicklung von einer traditionell tätizentrierten

00:56:15: Strafjustiz zu einer opferorientierten Strafjustiz verstanden werden.

00:56:20: Wird die Restorative Justice denn auch den Rechten von Opfern auf ein faires Verfahren,

00:56:26: auf ein färd Trial gerecht?

00:56:28: Wenn Sie die Opfer selbst fragen, ja, wenn wir uns die Evaluation angucken, die es gibt

00:56:35: im qualitativen Bereich zu Opferbedürfnissen und Restorative Justice, dann kommt heraus,

00:56:42: dass Opfer insbesondere den Bereich der Verfahrensgerechtigkeit betonen als positiv im Vergleich zum Strafverfahren.

00:56:50: Sie fühlen sich gesehen, sie fühlen sich gehört in den Restorative Justice Verfahren

00:56:56: und generell die Frage zu beantworten, ob eben den Rechten von Opfern auf ein faires Verfahren

00:57:04: genüge getan wird, hängt natürlich davon ab, wie freiwillig auch die Opfer diese Möglichkeit

00:57:11: wählen können oder ob sie gezwungen sind, statt eines Strafprozesses ein Restorative

00:57:17: Justice Verfahren durchmachen zu müssen, um überhaupt etwas sagen zu können.

00:57:21: Wenn gewährleistet ist, dass beide Möglichkeiten nebeneinander bestehen und auch das Opfer

00:57:28: wirklich, wirklich freiwillig entscheiden kann, welches Verfahren es wählt, dann glaube

00:57:35: ich, dass Restorative Justice den Rechten von Opfern auf ein faires Verfahren gerecht

00:57:39: wird.

00:57:40: Die Erfolgsgeschichte von Restorative Justice oder die Idee eines Erfolgs dieses Modells,

00:57:47: das haben wir jetzt gezielt, vielleicht noch kurz zum Misservoll, gibt es dann auch, ich

00:57:53: kann mir gut vorstellen, dass diese Gefahr auch besteht, wie im Strafprozess allgemein,

00:57:58: dass das Opfer auch eine sogenannte sekundäre Viktimisierung erfährt, also dass es in

00:58:03: diesem Prozess wieder zum Opfer gemacht wird.

00:58:06: Gibt es auch Fakten, Zahlen oder Nachweise, auch Anekdotische dazu?

00:58:11: Da muss ich Ihnen sagen, dass es das aus wissenschaftlicher Sicht nicht gibt.

00:58:19: Es gibt immer mal wieder auch in den Evaluationen Opfer, die sagen, das hätte besser laufen

00:58:25: können, damit sind sie nicht so zufrieden oder vielleicht doch die Höhe der Wiedergutmachungsleistung

00:58:31: hätte doch auch eine andere sein können.

00:58:33: Berichte über sekundäre Viktimisierung in der Form gibt es nicht, also über Anekdotische

00:58:40: Berichte, das kann ich natürlich nicht ausschließen, aber auf der wissenschaftlichen strukturellen

00:58:45: Ebene gibt es das in der Form nicht.

00:58:48: Was aber auch natürlich wieder mit Methodik zusammenhängt, dass diejenigen, die an diesem

00:58:54: Verfahren teilgenommen haben, ja eben, wenn alles gut gelaufen ist, gut vorbereitet waren,

00:59:00: gut informiert waren, freiwillig teilgenommen haben und dann ist natürlich klar, dass dann

00:59:05: die Wahrscheinlichkeit viel größer ist, dass es dann am Ende auch gut geht.

00:59:09: Die Abstraktegefahr ist vorhanden und deswegen kommt es so stark auf die Fachlichkeit der

00:59:14: jenigen an, die diese Verfahren begleiten, die genau natürlich darauf zu achten haben.

00:59:19: Wenn ich ihnen keine Berichte nennen kann oder keine Zahlen nennen kann aus Studien, die

00:59:24: eben diese Befürchtung unterstützen, dann ist es natürlich andererseits auch ein Ausdruck

00:59:30: dafür, dass anscheinend diejenigen, die in diesem Bereich der Restorative Justice arbeiten,

00:59:35: die Fachkräfte, dass die ihre Arbeit gut machen.

00:59:37: Aber natürlich die Abstraktegefahr ist auf jeden Fall vorhanden.

00:59:41: Mich würde da auch interessieren, wie das Verfahren überhaupt eingeleitet wird, ob

00:59:46: das jemand initiiert und wenn ja, welche Parteien das sein muss oder darf.

00:59:51: Ja, das hängt natürlich immer zusammen.

00:59:53: In welchem Land befinden wir uns wo, ne?

00:59:54: Wie also, wir können das ideal typisch quasi diskutieren oder wir können das irgendwie

01:00:00: anhand von einem bestimmten Land diskutieren.

01:00:04: Am Beispiel von Deutschland im Jugendstrafrecht kann ich ihnen das erzählen, wie das Verfahren

01:00:09: abläuft und in Frankreich bin ich mir jetzt gar nicht so ganz sicher.

01:00:12: In den Niederlanden gibt es dann einfach Mediationsstellen, wo auch jeder hingehen kann.

01:00:17: Ja, so.

01:00:18: Dann kann natürlich das Opfer selbst auch die Initiative übernehmen und sich dann da melden

01:00:23: und sagen, ich möchte das gerne.

01:00:25: In Deutschland ist es dann eher so, dass die Staatsanwaltschaft das schon mal vorschlägt,

01:00:29: was natürlich sofort wieder so den Einfluss hat auf die Freiwilligkeit.

01:00:33: Ideal typisch wäre es für mich wirklich so, es gibt Stellen, es gibt diese Institutionen

01:00:40: und jeder, der Bedürfnis hat und von Straftaten betroffen ist, kann sich da hinwenden und

01:00:45: dann gibt es die Fachkraft, die sich dann zuständig macht und in der Vorbereitung die

01:00:53: Bedürfnisse abfragt und versucht eben herauszufinden, wo sind die empfindlichen Punkte, wo sind die

01:00:59: großen Ängste, wo sind, ja, wo sind die Bedürfnisse.

01:01:03: Und das ist für mich dann wirklich schon die Antwort.

01:01:05: Also ich glaube, das Allerwichtigste ist in diesem Zusammenhang die Vorbereitung und

01:01:09: dann natürlich im Gespräch darauf achten, dass es nichts Verletzendes gesagt wird, dass

01:01:15: es keine Unfairheit gibt, keine Beleidigungen usw.

01:01:19: Aber das wäre für mich die Antwort auf die Frage.

01:01:21: Wenn wir schon bei der Initiative des Opfers sind, können den Restorative Justice Verfahren

01:01:30: auch zu einer Art Ermächtigung der Opfer führen?

01:01:33: Ja, das ist glaube ich ein ganz großer Vorteil der Restorative Justice, dass sie die von

01:01:41: Straftaten geschädigten Personen eben herausholen kann aus einer Passivität, vielleicht auch

01:01:48: im Strafverfahren, wo wir haben zunehmend Opferrechte auch im Strafverfahren.

01:01:53: Ich möchte das gar nicht so hart gegenüberstellen, wie das teilweise in der Literatur auch getan

01:01:57: wird, auch in unserem Strafverfahren haben.

01:02:00: Opferrechte.

01:02:01: Aber es bleibt dabei, dass eine wichtige Funktion, die sie im Strafverfahren erfüllen, die

01:02:07: jenige des Beweissgebers ist für die Überprüfung der Verantwortung der Tatperson.

01:02:15: Und in der Restorative Justice, in Restorative Justice Verfahren können die Opfer hingegen

01:02:21: die Themen ansprechen, die sie ansprechen wollen und die sie wirklich betreffen.

01:02:25: Und das führt natürlich auch zur Selbstermächtigung.

01:02:28: Und ich habe mir überlegt, dass es auch eine Art mit der Deutungshoheit zu tun hat über

01:02:35: das Verfahren.

01:02:36: Im klassischen Strafverfahren wird von der Staatsanwaltschaft geleitet und auch diese

01:02:40: bestimmt, was Inhalt ist und wie gewisse Beweise auch gedeutet werden.

01:02:47: In einem Restorative Justice Verfahren stelle ich mir vor, dass auch das Opfer die Tat aus

01:02:52: seiner eigenen oder ihrer eigenen Perspektive deuten darf.

01:02:56: Ja, sehr gut.

01:02:57: Das sehen Sie sehr gut.

01:02:59: Kann man das so?

01:03:00: Kann man genau so sagen.

01:03:01: Bei diesem restaurativen Ansatz spielt das Verfahren eine zentrale Rolle.

01:03:07: Welche gerade strafprozessualen Herausforderungen stellen sich denn bei der Verwirklichung der

01:03:13: Restorative Justice?

01:03:15: Wenn wir Restorative Justice ins Strafverfahren einbinden wollen und möglicherweise auch schon

01:03:22: zu einem frühen Zeitpunkt dadurch eine Weiche stellen wollen, ob das Strafverfahren vorzeitig

01:03:29: eingestellt werden kann, beendet werden kann oder bis zum Ende durchgeführt werden muss,

01:03:34: dann stellt sich natürlich die Problematik der Unschuldsvermutung ganz zuerst.

01:03:38: Wenn wir zu einem Zeitpunkt eine Restorative Justice Verfahren durchführen wollen, in

01:03:43: dem der Staat noch gar nicht nachgewiesen hat, dass dieser Täter wirklich ein Täter

01:03:48: im Sinne unseres Strafrechts ist oder eine Täterin im Sinne unseres Strafrechts ist,

01:03:53: dann ist das natürlich problematisch, weil wir im Restorative Justice Verfahren brauchen,

01:03:58: dass die Tatperson ihre Verantwortlichkeit übernimmt, damit überhaupt eben über die

01:04:03: Tat gesprochen werden kann und über die Folgen, die Auswirkungen der Tat muss die Tatperson

01:04:07: die Verantwortlichkeit übernehmen für die Tat.

01:04:10: Und das kann natürlich durchaus kollidieren, wenn dann zum Beispiel es nicht zu einem Ausgleich

01:04:15: kommt und wenn ein Verfahren in dem Sinne nicht erfolgreich ist, dass am Ende beide sagen,

01:04:21: jetzt haben wir wirklich Tatfolgen erfolgreich bearbeitet, dann geht das Verfahren weiter

01:04:27: und dann ist womöglich schon ein Geständnis vorhanden, dass der Staat so in der Form

01:04:34: die Schuld hätte gar nicht nachweisen können und das ist sicherlich ein Problem.

01:04:38: Damit verbunden ist die Frage, ob denn denjenigen, die dann diese Verfahren moderieren, Zeugnisverweigerungsrecht

01:04:44: zukommt und wenn es das nicht tut, dann ist wiederum eben auch die Frage der Unschuldsvermutung

01:04:51: umso größer.

01:04:52: Bezug nimmt auf die Unschuldsvermutung, ist es ja trotzdem möglich, dass der Staat eine

01:04:58: Strafe verhängt, aber die Täterin die Schuld an dieser Strafe von sich weist, also auch

01:05:08: nicht an fähig oder gewillt ist, einem Restorative Justice Prozess beizubohnen.

01:05:13: Also das heißt die Bestrafung alleine, die garantiert eigentlich kein Eingang in das

01:05:18: Restorative Justice System.

01:05:20: Genau, genau.

01:05:22: Sondern es muss die Verantwortungsübernahme auf Seite der tatverantwortlichen Person vorhanden

01:05:30: sein, damit man diese Verfahren durchführen kann.

01:05:33: Wir haben vorhin auch bereits darüber gesprochen, dass solche Restorative Justice Prozesse eigentlich

01:05:39: in jedem Verfahrensstadium stattfinden können.

01:05:42: Wenn jetzt das strafrechtliche Legalitätsprinzip aus Artikel 1 des Strafgesetzbuches besagt,

01:05:49: dass keine Sanktionen ohne ein Gesetz verhängt werden darf, aber jetzt zum Beispiel eine

01:05:54: Ausgleichszahlung in einem Restorative Justice Prozess bereits vor einer formellen Verurteilung

01:06:00: stattfindet, stellt das nicht ein eigentliches Problem mit dem Legalitätsprinzip dar.

01:06:05: Das ist dann in meinen Augen ein falsches Verständnis der Restorative Justice auf dieser

01:06:12: Ebene.

01:06:13: Das Restorative Justice Verfahren beispielsweise das Mediationsverfahren im Sinne eines Täteropfer-Ausgleichs

01:06:19: ist ja keine Sanktion, sondern es ist ein alternatives Verfahren, das zu anderen Resultaten führen

01:06:26: kann als den klassischen strafrechtlichen Sanktionen.

01:06:30: Und insofern sehe ich da kein Problem.

01:06:35: Was anderes wäre es natürlich, wenn ein Gericht jemanden in einem Urteil verurteilen könnte

01:06:42: zur Teilnahme an einem Täteropfer-Ausgleich.

01:06:45: Und das funktioniert in meinen Augen nicht.

01:06:49: Zumindest können wir dann diesen Täteropfer-Ausgleich nicht mehr als Restorative Justice begreifen,

01:06:54: wenn nicht die Tatperson daran freiwillig teilgenommen hat.

01:06:58: Also ein Restorative Justice Verfahren wirklich als Sanktion anzusehen und als Sanktion einzubinden

01:07:09: in ein Strafrechtssystem widerspricht in meinen Augen den Grundprinzipien der Restorative

01:07:16: Justice.

01:07:17: Dann ist es keine Restorative Justice mehr.

01:07:18: Vielen Dank für diese Klarstellung.

01:07:21: Ich glaube in diesen vergangenen Minuten des Podcasts haben wir sehr, sehr viel über

01:07:25: die Erfolge der Restorative Justice gesprochen.

01:07:29: Gibt es aus ihrer Perspektive oder aus einer generellen Perspektive, denn auch Kritikpunkte.

01:07:34: Was kann Restorative Justice nicht?

01:07:39: Eine generelle aktuelle Kritik, eine aktuelle Diskussion, die derzeit international geführt

01:07:46: wird zu Restorative Justice, ist die Frage, inwiefern die Restorative Justice durch ihre

01:07:52: Einbindung in das Strafrecht und in das Strafverfahrensrecht eben in unserer Welt sich so stark

01:08:00: verwässert, dass wir gar nicht mehr von Restorative Justice sprechen können.

01:08:04: Das ist so eine generelle Diskussion, die in den letzten Jahren aus der Restorative

01:08:11: Justice Bewegung selbst geführt wird, ob eben durch diese Institutionalisierung nicht

01:08:16: so eine starke Verwässerung stattfindet, dass die Grundideen der Restorative Justice

01:08:23: ausgründen des Pragmatismus, vielleicht ausgründen eben der Effektivität durch die

01:08:29: Einbindung in das Strafrecht und das Strafverfahrensrecht verloren gehen.

01:08:33: Eine weitere Gefahr kann sein, dass wir Restorative Justice als ein Allheilmittel begreifen wollen,

01:08:42: dass wir glauben, dass man jeden Konflikt am besten im Wege solcher Verfahren lösen

01:08:47: kann.

01:08:48: Das ist nach dem gesagten, glaube ich, schon deutlich geworden, dass ich das auch nicht

01:08:51: glaube und Gefahren bestehen vor allen Dingen dann, wenn die Grundprinzipien der Restorative

01:08:59: Justice nicht eingehalten werden.

01:09:01: Also gerade das Prinzip der Freiwilligkeit, es kann unzulässiger Druck auf tatverantwortliche

01:09:08: Personen ausgeübt werden, in denen man zum Beispiel vermittelt, wenn du jetzt in diesem

01:09:13: Verfahren teilnimmst, dann wird deine Strafe gemildert.

01:09:16: Aber wenn du nicht teilnimmst, dann kannst du damit rechnen, dass die Strafe sich erhöht.

01:09:20: Das wäre zum Beispiel ein unzulässiger Druck und es kann eben indirekt auch Druck auf

01:09:26: die tatbetroffenen Personen dadurch ausgeübt werden, dass sie befürchten müssen, dass

01:09:32: durch ihre Nicht-Teilnahme dem Täter der Tatperson schwere Schäden drohen, schwere

01:09:39: Folgendrohnen und sie sich insofern gedrängt fühlen, an einem Ausgleichsverfahren teilzunehmen.

01:09:45: Denn das ist ja auch die Realität unseres Strafrechts, dass in der Regel sich gerade

01:09:51: in den Straftaten, die sich für Restorative Justice-Prozesse überhaupt auch eignen, Täter

01:09:56: und Opfer häufig miteinander in irgendeiner Form von Beziehung stehen.

01:10:00: Und es den Opfern, wenn wir Opferbefragungen machen, mit Nichten darum geht, dass der

01:10:07: Täter oder die Täterin besonders schwer und besonders hart bestraft wird, sondern den

01:10:12: Opfern von Straftaten geht es darum, dass sie in Sicherheit sind, vor allen Dingen, dass

01:10:18: sie anerkannt werden in ihrem Leid, in ihren Schäden, in ihren Opfer-Erfahrungen.

01:10:24: Und dann kommt als Nächstes, dass sie gerne möchten, dass der Täter so etwas nicht wieder

01:10:31: macht, also dass der Aspekt der Resozialisierung sichergestellt wird und dann ganz am Ende

01:10:37: kommt dann auch irgendwann die Strafe, aber nicht die Strafschwere oder Stärke oder

01:10:43: Strafhöhe, so wie wir das Gemeinhimmem immer glauben, das ist das wichtigste Ziel aller

01:10:47: Opfer sei.

01:10:48: Ich glaube, aus ihnen Ausführungen auch herauslesen zu können, dass es auch Konflikte gibt,

01:10:55: die durch Restorative Justice nicht gelöst werden können.

01:10:59: Bedeutet das denn, dass Scheiten eines Restorative Justice Verfahrens, wenn der Konflikt nicht

01:11:05: bereinigt werden kann?

01:11:06: Meine Erfahrung nach ist es so, dass wenn Personen an einem Restorative Justice Verfahren

01:11:13: teilnehmen und dann am Ende nicht das von einer Seite gewünschte Ergebnis am Ende heraus

01:11:20: kommt, dass es trotzdem nicht als Scheitern des gesamten Prozesses verstanden werden

01:11:26: kann, sondern dass das wesentliche im Restorative Justice Prozess das aufeinander zugehen,

01:11:34: der beteiligten Person ist das Aussprechen von Bedürfnissen, das Aussprechen von Folgen

01:11:43: von Straftaten und das Miteinander in Kontakt kommen.

01:11:48: Und ob dann die Summe im Endeffekt genau so ausfällt, wie sich das eine Partei vorher

01:11:55: vorgestellt hat oder nicht, ist dann in meinen Augen zweitrangig.

01:11:59: Und ich glaube, dass es für den Aspekt der Selbstermächtigung der geschädigten Personen,

01:12:06: den sie angesprochen haben, durchaus sehr erfolgreich sein kann, auch in bestimmten Gesprächskonstellationen

01:12:13: zu sagen und jetzt werde ich nicht mehr weitermachen.

01:12:16: Ich werde jetzt diesen Prozess beenden.

01:12:18: Ich habe das gesagt, was ich sagen möchte und das, was du jetzt noch zu sagen hast,

01:12:23: möchte ich mir auch nicht mehr anhören und für mich ist jetzt dieser Prozess beendet.

01:12:28: Und das würde ich dann zum Beispiel auch nicht als Scheitern eines Täter-Opfer-Ausgleichs

01:12:32: ansehen, sondern das würde ich sehr wohl auch als Erfolg begreifen, wenn eben das Opfer

01:12:38: die Zügel in die Hand genommen hat im Umgang mit der Tatperson.

01:12:43: Wenn ich an Restorative Justice als eine Art Kommunikationsprozess denke, dann muss

01:12:50: ich immer auch an andere Verfahren oder Prozesse in unserer Gesellschaft denken oder auch in

01:12:55: unserem Zusammenleben, was können wir denn aus Restorative Justice auch für andere Verfahren,

01:13:01: jetzt nicht nur für Strafverfahren, sondern beispielsweise für migrationsrechtliche Verfahren

01:13:07: oder für unsere interne Konfliktbewältigung ziehen?

01:13:11: Restorative Justice Verfahren zeigen, dass es zu Nähe zwischen Menschen führt, wenn

01:13:19: sich Menschen auf Augenhöhe begegnen können.

01:13:22: Und was zur Lösung von Konfliktfällen wichtig ist, ist in meinen Augen wieder die Gemeinsamkeit

01:13:30: zu finden, das Gemeinsame zu finden, in die Nähe zu kommen miteinander.

01:13:35: Und deshalb sind diese Ideen der Restorative Justice für alle Konfliktfälle geeignet.

01:13:43: Und sie sprechen an Asylverfahren, wo ich auch glaube, dass es da sehr viele Berührungspunkte

01:13:51: gibt und vor allen Dingen auch Familienrechtsverfahren, wo ja auch der Bereich der Mediation viel stärker

01:13:56: auch ausgebaut ist, weil wir da erkannt haben, dass es so wichtig ist und so sinnvoll ist,

01:14:02: die Parteien miteinander ins Gespräch zu bringen statt gegeneinander und da das konfrontative

01:14:08: Recht an seine Grenzen gerät.

01:14:11: Und solange wir uns in so einem konfrontativen System befinden und nicht auf Augenhöhe miteinander

01:14:19: sind, wird es immer am Ende jemanden geben, der sich unterlegen fühlt.

01:14:24: Und das verhindert in meinen Augen den sozialen Frieden.

01:14:29: Besten Dank für diese Ausführungen.

01:14:31: Wir haben also heute gelernt, dass Taten, Spuren in Gemeinschaften hinterlassen, in

01:14:37: denen sie begangen werden, das Restorative Justice aber auch nicht das Wundermittel für

01:14:42: die Wiedergutmachung und die Schaffung von Gerechtigkeit bei Straftaten oder anderen

01:14:48: Normverletzungen gesehen werden kann.

01:14:51: Aber Restorative Justice, verstand nicht nur als Theorie, sondern eben auch als gelebte

01:14:56: Praxis, kann uns Anhaltspunkte für Prozesse zur Auseinandersetzung mit Rechtsbrüchen

01:15:03: oder anderen Normbrüchen bieten.

01:15:05: Besten Dank, Frau Professorin Prün, dass Sie heute bei uns waren und sich unseren kritischen

01:15:10: Fragen zu Ihrer Forschung gestellt haben.

01:15:13: Vielen Dank.

01:15:14: Sehr gerne.

01:15:15: Vielen Dank, dass ich hier sein durfte.

01:15:17: Danke.

01:15:18: Danke.

01:15:20: Danke.

01:15:22: Danke.

01:15:24: Danke.

01:15:25: Danke.

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